Eingeschleppte ausländische Ameisenarten: Ansiedlungserfolge

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Buschinger
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Eingeschleppte ausländische Ameisenarten: Ansiedlungserfolge

Beitrag von Buschinger »

Eingeschleppte ausländische Ameisenarten: Wie viele siedeln sich erfolgreich an?

Es wäre äußerst wichtig, dass professionelle Ameisen-Importeure Händler, sowie Halter, die sich so gerne aus dem Urlaub „was mitbringen“, sich die im folgenden beschriebene wissenschaftliche Untersuchung genau durch den Kopf gehen lassen!

Eine brandneue Arbeit in der Zeitschrift PNAS (Bd. 102, November 2005, URL s. unten) befasst sich mit dieser Frage. Es ist beeindruckend: Nicht weniger als 12 (zwölf!) Prozent der zufällig, mit Handelsgütern, in die USA (Festlandsstaaten, ohne Hawaii) eingeschleppten Ameisenarten haben dort Fuß gefasst! Bei insgesamt 232 eingeschleppten Arten ist das die stattliche Zahl von 28. Es kann also keine Rede davon sein, dass solche exotischen Arten grundsätzlich kaum Überlebenschancen hätten!

Unter der zweiten URL (s. u.), online zugänglich, berichtet das „News Bureau“ der Univ. of Illinois genauer.
Klar steigt die Anzahl der Ansiedlungs-„Erfolge“ mit der Häufigkeit der Einschleppung einer Art.
Aber der „Erfolg“ (aus der Sicht der Ameisen ….) hängt auch ab von den spezifischen biologischen Eigenschaften der einzelnen Art. Besonders im Boden nistende Arten und solche, die zwar auf/in Bäumen leben, aber nicht auf bestimmte Baumarten spezialisiert sind, sind prädestiniert für die Ansiedlung im fremden Faunen- und Florengebiet.
Man hofft, solche Kenntnisse und Erfahrungen nutzen zu können, um eine „neue Welle von Invasoren“ von der Ansiedlung abhalten zu können.

Untersuchungsmaterial waren Ameisen, die in den Jahren von 1927 bis 1985 vom US Department of Agriculture in Quarantäne-Stationen entdeckt und – zumeist unbestimmt - konserviert worden waren. Sie wurden in einem Museum gesammelt. Für jede Probe waren Herkunft und Ort der Ankunft in den USA registriert worden. Unter den insgesamt 394 Proben konnten 232 Arten aus 58 Gattungen und 12 Unterfamilien identifiziert werden. Für 156 Arten konnten Daten über die Nistgelegenheiten ermittelt werden. Die Hälfte davon waren arboreal (in Bäumen nistend). 14 % von diesen hatten sich in den USA angesiedelt. Unter dem Gesamtmaterial waren auch fünf Ameisenarten, die von der IUCN zu den 100 schlimmsten invasiven Organismen gerechnet werden.

Übrigens: Einer der Autoren, Philip S. Ward, ist mir als renommierter Ameisenforscher bekannt; für mich Garantie, dass der Artikel keinen Unsinn enthält.

A. Buschinger

http://www.pnas.org/cgi/content/abstract/102/47/17032
(Für Nicht-Abonnenten ist nur der abstract zugänglich)

http://www.news.uiuc.edu/news/05/1115ants.html
(Volltext online)

Edit und Ergänzung 24.11.05:

Inzwischen habe ich die komplette Arbeit von Suarez, Holway & Ward erhalten. Daraus sollen noch ein paar interessante Details ergänzt werden.

Ausgewertet wurden nur solche Einschleppungen, bei denen die Tiere aus ihrem jeweiligen natürlichen Verbreitungsgebiet kamen (ausgeschlossen wurden also Arten, die bereits in vielen Ländern angesiedelt waren und die mit Handelsgütern immer noch weiter verschleppt werden).

Ob eine bestimmte Art sich am Ort der Einschleppung angesiedelt hatte, wurde anhand von Museumssammlungen in der jeweiligen Region überprüft (Ich „erfinde“ hier mal ein erläuterndes Beispiel: In Florida wurde 1940 bei der Kontrolle von Handelsware eine in Argentinien heimische Pheidole-Art entdeckt und konserviert. Dies ist ein Indiz dafür, dass dieselbe Art wiederholt eingeschleppt worden sein dürfte, denn natürlich wird längst nicht jede Einschleppung entdeckt. Jetzt, 2005, findet sich die Art als Sammlungsmaterial in den Insektensammlungen von 3 oder 4 Museen in Florida und den benachbarten Staaten Georgia und Alabama. Das wäre ein klares Indiz dafür, dass diese Art sich angesiedelt und im neuen Lebensraum ausgebreitet hat).

Arten, die in der Sammlung von konfiszierten Ameisen aus Handelslieferungen vorhanden sind, nicht aber in Museumssammlungen der Umgebung des Ankunftsortes, dürften sich am neuen Ort nicht angesiedelt haben (man beachte: Es wurden nur Einschleppungen bis 1985 gewertet; die Ankömmlinge hätten also 20 Jahre Zeit gehabt, sich auszubreiten und „auffällig“ zu werden).

Damit lässt sich recht gut abschätzen, wie hoch der Anteil der unabsichtlich eingeführten Arten ist, der das Potenzial zur Ansiedlung hat.

Arten, die mehrfach in Handelsware entdeckt wurden, werden sicher auch häufiger eingeschleppt als solche, die nur einmal abgefangen worden waren. Das lässt eine Aussage darüber zu, ob die Häufigkeit der Einschleppung einer bestimmten Art entscheidend für ihren Ansiedlungserfolg ist. – Nach der Studie in PNAS ist dies jedoch nur teilweise der Fall; die Eigenschaften der jeweiligen Art, u.a. ihre ökologischen Ansprüche, sind eher von größerer Bedeutung.

Die Daten werden in der Arbeit auch nach Verwandtschaftsgruppen (Unterfamilien) und nach geografischer Herkunft (Neotropis, Paläarktis, Afrika, sowie orientalische Region und Australien) aufgeschlüsselt.

Unter den entdeckten eingeschleppten Arten fanden sich drei Arten von Ecitoninae, von denen sich (eigentlich erwartungsgemäß!) keine angesiedelt hat. Dagegen haben sich von 108 eingeschleppten Myrmicinae immerhin 16 angesiedelt. (Insgesamt gibt es in den USA 34 nicht-heimische Myrmicinae-Arten, die aber nicht alle in dem untersuchten Material aufgetaucht waren. – Dieses repräsentiert eben nur einen Bruchteil dessen, was mit Handelsware tatsächlich eingeschleppt wurde und wird).

Nach geografischer Herkunft aufgeschlüsselt, z.B. Afrika: 15 Arten in dem untersuchten Material entdeckt; davon 2 angesiedelt; insgesamt in den USA angesiedelte afrikanische Arten: 6.

Eine weitere Auswertung nach Gattungen vergleicht innerhalb der eingeschleppten Arten die Zahl der „erfolgreichen“ Ansiedler und derer, die sich nicht angesiedelt haben. So haben sich von 17 eingeschleppten Tetramorium-Arten 15 angesiedelt, nur 2 nicht; oder von 21 Monomorium-Arten 12 angesiedelt, 9 nicht; von 63 Camponotus-Arten 11 angesiedelt, 52 nicht. Von 20 Pheidole-Arten haben sich 2 angesiedelt, von 18 Temnothorax-Arten null.

Ich kann hier nicht alle Details referieren. Wer es noch genauer wissen möchte, muss auf die Originalarbeit zurückgreifen.

Klar ist auf jeden Fall, dass ein beträchtlicher Teil der zufällig eingeschleppten Arten sich im neuen Lebensraum breitmachen kann. Für die absichtliche Einfuhr und die Freisetzung (ob absichtlich oder nicht) ausländischer Ameisen bei uns in Deutschland bzw. in Europa dürften ganz ähnliche Risiken bestehen.

A. Buschinger
Buschinger
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Ein Diskussionsbeitrag dazu...

Beitrag von Buschinger »

Bitte nicht verwirren lassen!

Zum ersten Teil meines Beitrags (vor dem EDIT) hat nun am 25.11.05 ein anonymes, sogar mit nickname nicht gerne zitiertes Mitglied im ANTSTORE FORUM Stellung bezogen, insbesondere behauptet, ich habe „falsch übersetzt“, „schlampig und sinnentstellend“. Vielen Dank für die Komplimente! (Da ich meine Beiträge mit Namen zu kennzeichnen pflege, kann ja nur ich gemeint sein).
http://www.antstore.net/viewtopic.php?t=3090

In der Tat hat der anonyme Verfasser nicht kapiert, dass mein von ihm besonders kritisierter Satz überhaupt keine Übersetzung ist, sondern eine freie Inhaltsangabe!
„Klar steigt die Anzahl der Ansiedlungs-„Erfolge“ mit der Häufigkeit der Einschleppung einer Art“ steht da in meinem Text, und das ist wohl kaum zu bestreiten.
Hätte Herr Anonymus weiter gelesen, wäre er im nächsten (!!!) Satz auf folgende Aussage gestoßen:
„Aber der „Erfolg“ (aus der Sicht der Ameisen ….) hängt auch ab von den spezifischen biologischen Eigenschaften der einzelnen Art
Was ist das, bitteschön, anderes als die von jenem ANTSTORE-Autor übersetzte Aussage?
„neuere noch zu veröffentlichende Erkenntnisse kommen zu dem Ergebnis, dass die Gelegenheit selbst keine Garantie für eine erfolgreiche Invasion ist [Hervorhebung von mir," -der ANTSTORE-Autor].

Ich denke, gerade die Formulierung „keine Garantie“ besagt in unserer guten deutschen Sprache doch, dass es nicht ausschließlich auf die Häufigkeit der Einschleppung ankommt, sondern auch auf die „Eignung“ der betr. Arten, im neuen Lebensraum Fuß fassen zu können (und das ist, nebenbei, ja eine Binsenweisheit).
Dem fleißigen, und so überaus kritischen Übersetzer sei noch als Ergänzung ins Wörterbuch geschrieben, dass „port“ im Amerikanischen nicht unbedingt mit „Hafen“ zu übersetzen ist. „Port of entry“ kann auch jeder internationale Flughafen sein, jeder Grenzübergang oder eine von grenzüberschreitendem Bahnverkehr angesteuerte Bahnstation.

Zudem muss man sich im klaren darüber sein, dass der von Herrn Anonymus übersetzte Artikel selbst schon ein „Verdau“ ist, eine Interpretation, die nicht von den ursprünglichen Autoren stammt, sondern von dem „Scientific Editor“ des News Bureau der Univ. von Illinois. (Auch ich hatte diesen Text als erste Quelle zur Verfügung; daher dann auch meine Ergänzung mit Detailangaben aus der Original-Veröffentlichung in PNAS.)

Schlussendlich fragt man sich, was jene herbe Kritik an meinen Beiträgen eigentlich soll? Viele Male hat man sich in den Foren gestritten, wie hoch oder niedrig die Ansiedlungsquoten eingeschleppter Ameisen wohl seien. Nun poste ich aus einer wissenschaftlichen Arbeit erstmals harte Zahlen. Auch wenn Halter, Händler oder deren Anhänger solche Fakten nicht gerne sehen, so ist das doch wohl deren Problem und nicht das der Vertreter wissenschaftlich wahrer Angaben, oder?

A. Buschinger
Gerhard Heller
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Registriert: 07. Jul. 2005, 12:19

Beitrag von Gerhard Heller »

Lieber Herr Buschinger,

zu dem spannenden Bericht (das Original habe ich nicht) interessieren mich noch einige Gesichtspunkte:

Hat man bei der Auswertung nach US-Bundesstaaten unterschieden? Es ist ja klar, dass die Bedingungen um den Golf von Mexiko für die Etablierung der meisten Arten weitaus günstiger sind als z.B. in den Neuenglandsaaten. Daher existiert sicher ein deutliches Süd-Nord-Gefälle was die Anzahl eingebürgerter Arten betrifft.

Bei der Etablierung spielt wohl auch die soziale Organisation eine Rolle. Ist aufgelistet wieviele der eingeschleppten Arten polygyn organisiert sind und wieviele es mit Monogynie geschafft haben, Fuß zu fassen? Wie sieht es mit der Paarungsbiologie aus? Sind Arten mit Calling-Verhalten erfolgreicher als solche, die in Massenaggregationen hochzeiten?

Was lässt sich über die Ausbreitung um die ursprünglich vermuteten Einschleppungspforten sagen? Gibt es evtl. Anhaltspunkte für Ausbreitungsgeschwindigkeiten? Bei Verbreitung über mehrere Staaten könnte auch entsprechend häufige Einschleppung zugrunde liegen. Wieviele Arten sind auf urbane Habitate beschränkt und wieviele treten in Naturhabitaten auf?

Für Europa gibt es wohl keinen umfassenden Überblick, sondern nur länderbezogene Untersuchungen. Xavier Espadaler ermittelte für die (nur politisch) zu Europa gehörenden Kanaren einen Anteil exotischer Arten von ca. 20%, allerdings fast nur Kosmopoliten (zum Vergleich: Iberische Halbinsel nur ca. 5%). Auf Madeira beträgt nach seiner Schätzung der Anteil sogar 50%, wobei die Suche in Stadtparks etc. wohl besonders ergiebig war.


Viele Grüße
Ihr G. Heller
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