Tetramorium rhenanum gibt es nicht mehr

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Moderatoren: Gerhard Heller, Buschinger

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Buschinger
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Tetramorium rhenanum gibt es nicht mehr

Beitrag von Buschinger »

Im Forum des Wiss. Beirats hatte ich einen Beitrag unter diesem Titel eingestellt. Ich habe ihn jetzt (8.7.05) hier unten eingefügt.
Er zeigt u.a. einmal mehr, wie wichtig es ist, dass der ausufernde Handel mit Ameisen, ob einheimischen oder exotischen, möglichst bald gesetzlich geregelt wird.
Es ist ein Unding, dass Vorkommen von Arten der Roten Listen einerseits z.B. als Begründung für die Ausweisung von Naturschutzgebieten und ggf. Verhinderung von Bauvorhaben dienen, andererseits dieselben Arten keinerlei besonderem Schutzstatus unterliegen, also von Händlern unserer Natur entnommen und verhökert werden dürfen!
(Die in diesem Beitrag genannte Tetramorium moravicum ist in der Roten Liste der Bundesrepublik unter "R" = Arten mit geografischer Restriktion zu finden).
A. Buschinger

Eingefügt:
Verfasst am: 29 Jun, 2005 15:31 Titel: Tetramorium rhenanum gibt es nicht mehr.
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Arten kommen, Arten gehen …und nicht in jedem Fall ist baldige Ausrottung durch den Menschen die Ursache.

Immer wieder werden neue Ameisenarten beschrieben, manche sogar noch in jüngerer Zeit und aus Deutschland. Die „Lebensdauer“ solcher Arten kann aber unerwartet kurz sein, wenn bei der Beschreibung eine Fehleinschätzung vorlag, die heute z.B. mittels molekularer Techniken korrigiert werden kann.

So wurde erst 1996 von A. Schulz eine neue Art, Tetramorium rhenanum, aus dem Mittleren Rheintal beschrieben.
Jetzt, nur neun Jahre später, musste sie wieder eingezogen werden. Die entsprechende Veröffentlichung findet sich hier:
B. C. Schlick-Steiner, F.M. Steiner, M. Sanetra, G. Heller, C. Stauffer, E. Christian and B. Seifert (2005): Queen size dimorphism in the ant Tetramorium moravicum (Hymenoptera, Formicidae): Morphometric, molecular genetic and experimental evidence. Insect. Soc. 52, 186–193 (erschienen 20. Mai 2005, im Birkhäuser Verlag, Basel).

Die Tiere gehören der bereits länger bekannten T. moravicum Kratochvil, 1941 an. In Deutschland bilden diese nur wenige, kleine und entsprechend gefährdete Populationen, sollten also unter Schutz gestellt werden, egal unter welchem Namen.

Mindestens zwei Kolonien gelangten jedoch bereits, auf welchem Wege auch immer, in die Hände von Ameisen-Händlern. Sie werden noch heute (29.06.05) im Internet zum Verkauf angeboten, unter dem Namen „T. rhenanum“; die Händler haben die nunmehr schon vor 6 Wochen erschienene o.g. Veröffentlichung gewiss übersehen.

Immerhin ist einem der Händler, wie seinem Text zu entnehmen, die Seltenheit der Tiere bewusst. Dass es weitere polygyne (nicht: „polygene“) Tetramorium-Arten gibt, ist ihm wohl unbekannt, wie ebenfalls aus dem Text der Anzeige zu entnehmen ist:

Zitat:
Hi verkaufe folgende Ants :
……
Tetramorium rhenanum( sehr selten und die einzigen Tetramorium welche Polygen sind) 5 queens 30 arbeiter sehr sehr viel Brut: 35€


Es muss endlich Schluss sein mit diesem unkontrollierten Verhökern von Ameisen aller Art! Bitte unterstützt die Deutsche Ameisenschutzwarte in ihren Bemühungen um eine sachgerechte gesetzliche Regulierung des Imports von und des Handels mit lebenden Ameisen!

A. Buschinger

EDIT 30.06.05: Heute sind beide Kolonien nicht mehr angeboten
Zuletzt geändert von Buschinger am 08. Jul. 2005, 17:40, insgesamt 1-mal geändert.
Buschinger
Beiträge: 1489
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Tetramorium rhenanum gibt es nicht mehr

Beitrag von Buschinger »

So schnell geht das im Internet: Beide angebotenen Kolonien "gibt es nicht mehr", jetzt im doppelten Wortsinn.
Im Angebot des antstore-shop Mühlhausen ist die dort feilgehaltene Kolonie "weg", und auch die Kolonie in "Suche/Biete" im antforum wurde herausgenommen. - Ich hatte den Händlern und dem Betreiber des antforum den Text meines Eintrags hier oben, im Forum des Wiss. Beirats, per mail zugeleitet.
Was mit den Völkern jetzt wohl geschehen ist?

A. Buschinger
Sebastian L.
Beiträge: 1
Registriert: 04. Jul. 2005, 19:01

Beitrag von Sebastian L. »

Hallo Herr Buschinger.

Bei den beiden Kolonien handelte es sich um ein und die selbe Kolonie die an 2 Plätzen zum Verkauf geboten wurde.
Die Tiere selbst stammten aus Spanien und wurden von dem 16 Jährigen Besitzer des Antstore Mühlhausen bestimmt. Die Qualität der vermeindlichen Bestimmung lässt sich nun schon daher ableiten das Spanien nicht im Mittleren Rheintal liegt. Es handelt sich also nicht um Tetramorium rhenanum sondern maximal um Tetramorium moravicum, fest steht letztendlich nur es handelt sich um eine polygyne Tetramorium sp.

Ich habe mit dem momentanen Besitzer der Tiere gesprochen, er hat versprochen auf keinen Fall mit ihnen Handel zu treiben. Er wird sie nun also wohl für sich selbst halten und pflegen.

Sebastian Lübcke
Buschinger
Beiträge: 1489
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Beitrag von Buschinger »

Sehr geehrter Herr Lübcke,

Vielen Dank für diese Informationen.

Da importiert also „jemand“ eine Kolonie polygyner Tetramorium aus Spanien (nehmen wir mal an, dass wenigstens die Gattung richtig bestimmt wurde, was bei den Ameisen-Händlern ja auch nicht unbedingt sicher ist). Ein 16-Jähriger, Geschäftsführer eines antstore-shops, „bestimmt“ sie als T. rhenanum, nichts davon ahnend, dass diese Art nicht mehr existiert, weil es sich um ein jüngeres Synonym von T. moravicum handelt. Ein "Privatmann" (?) bietet die Kolonie mit 5 Königinnen in einem Forum an. Der antstore-Händler, der sie "bestimmt" hat, bietet dieselbe Kolonie mit 3 Königinnen an, will also vielleicht einen Teil selbst behalten, oder den zweiten Teil separat verkaufen? -
Das bestätigt doch alles, was man über das wilde Einschleppen und Verschachern gebietsfremder Ameisen in Deutschland inzwischen weiß bzw. vermuten kann.

T. moravicum ist allerdings eine mittel- bis osteuropäische Art, die bestimmt nicht in Spanien vorkommt. Hingegen gibt es eine ganze Anzahl polygyner Tetramorium-Arten im Mittelmeergebiet, was man der oben zitierten Veröffentlichung ohne weiteres entnehmen kann. Die fragliche Kolonie könnte selbst der exotischen und bei uns bereits als Schädling verbreiteten T. bicarinatum angehören. – Die Händler spielen mit dem Feuer, und fast jeder schaut weg!

A. Buschinger
Gerhard Heller
Beiträge: 838
Registriert: 07. Jul. 2005, 12:19

Beitrag von Gerhard Heller »

Hallo,

bevor die Art irgendwo verschwindet, sollte vielleicht doch mal ein Systematiker ein Auge darauf werfen. Zu den Bestimmungskünsten des antstore-Händlers habe ich zwar wenig Vertrauen (zumal die Gattung schwierig und revisionsbedürftig ist), aber ganz ausschließen möchte ich nicht, dass es sich bei den spanischen Tieren (wo stammen sie denn her? Spanien ist groß) um moravicum handelt. Ich selbst habe moravicum in der Nähe der Ardeche gefunden, also auf dem „richtigen“ Ufer der Rhone, wenn man nach Spanien will. Außerdem fand ich die Art auf einem Autobahnrastplatz nördlich Lyon. Was die bekannten deutschen Populationen an Kaiserstuhl und Mittelrhein/Nahe/Mosel betrifft, kann man sich unschwer vorstellen, dass moravicum in Westumgehung der Alpen über die Burgundische Pforte zu uns gelangte, wie so manches mediterrane Getier. Warum sollte sich die Art nicht auch weiter westwärts nach Spanien ausgebreitet haben?
Allerdings kommt nach derzeitigem Wissensstand die ursprüngliche „rhenanum“-Form mit vielen kleinen Königinnen (also polygyn-mikrogyn) und im Durchschnitt kleinen Arbeiterinnen nur in Deutschland und in den Alpes maritimes (Südfrankreich) vor. Diese Form scheint sich überwiegend durch intranidale Begattung und Ablegerbildung zu verbreiten. Die typische aus Osteuropa bekannte moravicum-Form mit großen Arbeiterinnen und Königinnen ist wohl meist monogyn und gründet claustral. In D kommt sie wahrscheinlich nur kleinräumig an der Nahe vor. Hier gibt es aber auch polygyne Kolonien mit Makrogynen. Erstaunlich ist, dass die Art in D erst so spät erkannt wurde. Dem erfahrenen Myrmekologen Reichensperger, der vor dem ersten Weltkrieg eifrig an Nahe und Mittelrhein (damals die preußische Rheinprovinz) gesammelt hat, muss sie über die Füße gelaufen sein. Auch in Frankreich gab es vorher keine Nachweise.
Es wäre zoogeographisch jedenfalls von Interesse, der Sache mit den angeblichen moravicum aus Spanien auf den Grund zu gehen.
Buschinger
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Kontakt zum Anbieter der T. rhenanum

Beitrag von Buschinger »

Lieber Herr Heller,

Einer der Anbieter war der antstore-shop Mühlhausen.
Auf der Webseite kann man ihm unter "Kontakt" eine mail schicken.
URL: http://www.antstore.biz/de/shop06

Ansonsten telefonisch:
Geschäftsführer:
Herr Stephan Erbe, Tel.: 03601 427626

Viel Erfolg!

Ihr A. Buschinger
Gerhard Heller
Beiträge: 838
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Beitrag von Gerhard Heller »

Lieber Herr Buschinger,

die Anfrage bei Herrn Erbe, ob ich ein paar Arbeiterinnen zur Bestimmung haben könne, hat leider nichts gebracht. Im antstore wurden die Tiere lediglich im Auftrag eines Users angeboten, der dann aber nicht mehr verkaufen wollte. Er selbst habe diese nie gesehen und wisse auch nichts über deren Verbleib. Ich wurde belehrt, dass die Art in keiner Roten Liste stehe und in Spanien weit verbreitet (!) sei. Auf meine Frage, woher denn dieser Quatsch stamme, erhielt ich bisher keine Antwort. Das Rätsel, um welche Art es sich tatsächlich handelt, wird wohl ungelöst bleiben.

Viele Grüße
Ihr
G. Heller
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