Lasius niger - eine invasive Art?

Schreiben Sie in diesem Forum Ihre Fragen, Beobachtungen und Berichte zu anderen Ameisenarten.

Moderatoren: Gerhard Heller, Buschinger

Antworten
schmidi
Beiträge: 42
Registriert: 23. Jun. 2004, 10:45

Lasius niger - eine invasive Art?

Beitrag von schmidi »

Ein Artikel in "Notes from Underground" berichtet von Lasius niger - Funden in Montreal. Noch scheint nicht sicher zu sein, ob es sich um eingeschleppte Ameisen handelt, oder ob sie dort tatsächlich beheimatet sind.

http://www.notesfromunderground.org/iss ... sdist.html

Könnte Lasius niger zur sogenannten Pest-Ant werden?
Zumindest wird davon berichtet, dass es sich bei den Funden um die dominierende Art handle.

Gruß
schmidi
Buschinger
Beiträge: 1490
Registriert: 26. Apr. 2004, 12:34
Wohnort: Reinheim

Lasius niger pest-ant?

Beitrag von Buschinger »

Hallo schmidi,

So weit ich weiß, ist es bisher noch nicht ganz geklärt, ob unsere Lasius niger mit der schon lange aus Nordamerika beschriebenen Lasius neoniger identisch ist oder nicht. Entsprechend lässt sich bisher nicht sagen, ob die jetzt dort verbreiteten „Lasius niger“ dort einheimisch, oder aber eingeschleppt sind.

Mittels Molekulargenetik lässt sich das heute untersuchen. Allerdings ist so etwas teuer und zeitaufwändig (ich habe das jüngst ganz genau mitbekommen bei unseren Untersuchungen zur Identität von Myrmica microrubra: Ist es eine separate Art, oder gehört sie zu M. rubra und stellt nur eine abweichende Morphe davon dar?). – Es muss sich halt erst mal ein Labor finden, das bereit ist, die Untersuchungen zu machen, und zuvor entsprechende Forschungsmittel zu beantragen.

Zur „Hausameise“ wird L. niger wohl auch in Nordamerika nicht, wohl aber könnte sie zur „invasiven Species“ werden, die dort heimische Arten auskonkurriert und verdrängt.
Ich bleibe bei der Sache ohnehin am Ball, und werde berichten, wenn sich neue Erkenntnisse auftun.

A. Buschinger
schmidi
Beiträge: 42
Registriert: 23. Jun. 2004, 10:45

Beitrag von schmidi »

Ach so!
Ich dachte bisher immer, Lasius niger und Lasius neoniger seien bereits ausreichend von einander unterschieden. Daher hieß die Nachricht für mich jetzt, dass neben Lasius neoniger jetzt auch Lasius niger aufgetaucht sei, so dass eine neuerliche Untersuchung aller bisher für neoniger gehaltenen Exemplare angezeigt sei.

Hab ich das jetzt aber richtig kapiert: Es ist noch gar nicht sicher, ob es sich bei Lasius neoniger tatsächlich um eine von L. niger unterscheidbare Art handelt?
Wenn dem so wäre, dann kann man ja fast zwangsläufig davon ausgehen, dass sie eingeschleppt wurde, oder? Denn wäre sie "nativ", dann ist doch fast unvorstellbar, dass die Ameisen sich bei derart natürlichen Barieren zwischen den europäischen und amerkikanischen Habitaten nicht im Laufe der Jahrtausende auseinanderentwickelt hätten.

schmidi


In diesem Zusammenhang noch eine Frage:
Die meisten invasiven Arten sind doch polygyn. Lässt sich an der Tatsache, dass Lasius niger monogyn ist, etwas für ihre "Eignung" zur Invasiven Art ablesen?
Buschinger
Beiträge: 1490
Registriert: 26. Apr. 2004, 12:34
Wohnort: Reinheim

Lasius niger, neoniger etc.

Beitrag von Buschinger »

Hallo schmidi,

Ich werde mal im amerikanischen Forum eine Anfrage posten. Da sind ein paar Taxonomen aktiv, die hoffentlich den neuesten Stand kennen.
Es ist eigenartig mit den Arten, die von beiden Kontinenten beschrieben sind. Ganz bestimmt sind da noch Fehler drin. In Nordamerika fehlt eben ein B. Seifert! Ohne den hätten wir hier weder L. platythorax, noch psammophilus, jensi, und ein paar andere.
Zunächst hat man anscheinend in Nordamerika Ameisen den europäischen Arten zugeordnet, denen sie „ähnlich“ sahen. Später hat man dann (z.T. ohne gut kenntliche Merkmale, nur auf Grund des Vorkommens in der „Neuen Welt“) ein "neo-" vor den Namen der europ. Art gesetzt.

Bis heute werden mehr als ein Dutzend nordamerikanische Leptothorax-Arten als „L. muscorum Nylander“ bezeichnet; die „echte“ europäische L. muscorum ist m.E. nicht dabei. Ich habe seit ca. 25 Jahren immer wieder in Publikationen darauf hingewiesen, aber noch heute lassen sich einige amerikanische Kollegen ihre „L. muscorum Nyl.“ nicht ausreden. Etwa 6-8 Unterarten sind beschrieben, aber derart schlecht, dass es uns (mir, J. Heinze, A. Francoeur und anderen) bisher nicht gelang, die von uns unterschiedenen „Arten“ den beschriebenen Unterarten zuzuordnen (oft haben die Weibchen deutlich bessere Merkmale als die Arbeiterinnen, nach denen diese Unterarten beschrieben sind). So behelfen wir uns noch immer mit Provisorien (L. sp. A: Eine Art mit genetisch begründetem Königinnen-Polymorphismus; L. sp. B: eine große, fast schwarze Art; usw…. Molekulargenetisch ganz klar verschiedene Arten, keinesfalls muscorum. Einige haben wir bereits beschrieben, eine werde ich demnächst noch beschreiben, aber das kostet alles seine Zeit.
Besonders irritierend ist der Fall L. acervorum: Soll an der Hudson-Bay vorkommen, sowie in Alaska. ABER: Die von der Hudson-Bay (ich habe sie bei Francoeur in Chicoutimi gesehen) haben weniger zahlreiche abstehende Borsten, und sie kopulieren im Nest, was unsere L. ac. nicht machen. Die aus Alaska haben eine funktionelle Monogynie, auch anders als die nord- und mitteleuropäischen „echten“ acervorum, die fakultativ polygyn sind (echt deshalb, weil sie nach Tieren aus Schweden beschrieben ist, ebenso wie muscorum).
Andererseits haben wir in Spanien eine Population von „L. acervorum“ untersucht, die ebenfalls funktionell monogyn ist…. Es braucht noch einen oder gar einige engagierte Myrmekologen, die das alles auseinander dividieren, allein bei den Leptothorax. Nicht zu reden von so schwierigen Gruppen wie Lasius, Camponotus, Myrmica etc.!
Was man bedenken muss: Viele, wenn nicht die meisten, nordamerikanischen Arten sind, so wie der Mensch, über die sog. Bering-Brücke aus Ostsibirien nach N-Amerika gewandert (Tiere z.T. auch umgekehrt). Da war während der Eiszeiten dank Meeresspiegel-Absenkung eine Landbrücke, die auch nicht immer vollständig vereist war. Und Ameisen in Ostsibirien oder China usw. sind für uns noch immer schwer zugänglich. Politisch geht es jetzt, aber die für Sammelreisen nötige Infrastruktur …..

Es ist richtig, dass die wirklich schlimmen invasiven Arten in aller Regel polygyn sind. Allerdings hat es bei den Fire ants auch mit monogynen Formen angefangen, die erst in Nordamerika allmählich zur Polygynie übergingen, um sich dann umso rasanter auszubreiten. L. niger hat ein so hohes Vermehrungs- und Ausbreitungspotenzial, dass ich ihr durchaus trotz Monogynie invasive Eigenschaften nicht absprechen möchte. - Aber Vorsicht: Das ist Spekulation! Wir wissen noch nicht einmal genau, ob es sich dort in Montreal wirklich um L. niger handelt.

Viele Grüße,
Ihr A. Buschinger
Buschinger
Beiträge: 1490
Registriert: 26. Apr. 2004, 12:34
Wohnort: Reinheim

Ergänzung zu Lasius niger in N-Amerika

Beitrag von Buschinger »

Weil ich gerade dran bin:
B. Bolton (1995): A New General Catalogue of the Ants of the World, führt L. niger für Europa auf, und wertet L. neoniger als gültige Art für Nordamerika. Bolton ist jedenfalls eine anerkannte Kapazität für die Ameisensystematik.
Von Emery (1893) war neoniger als Varietät von niger beschrieben worden ("L. niger var. neoniger"). Gregg 1945 erhob sie in den Spezies-Rang, was von Wilson 1955 und Smith 1979 bestätigt wurde.
Jetzt muss ich "nur" noch nachfahnden, was die Unterscheidungsmerkmale sein sollen :(
Man bedenke, dass bis 1991 in Europa auch noch alles unter "niger" lief, was Seifert dann als "platythorax" ausgegliedert hat.
Deren Merkmale konnten zuvor ja keine Berücksichtigung gefunden haben. Gerade bei so häufigen und weit verbreiteten Arten ist die Taxonomie ganz besonders schwierig!

Viele Grüße,
A. Buschinger
schmidi
Beiträge: 42
Registriert: 23. Jun. 2004, 10:45

Beitrag von schmidi »

Woran lässt sich denn festmachen, ob eine Ameisen eine neue Art ist, oder nicht. In der Schule lernte ich noch, dass unterschiedliche Arten nicht miteinenader kreuzbar sind, bzw. die Nachkommen dieser Kreuzungen nicht fruchtbar seien (Maulesel-Beispiel). Soweit ich weiß, gibt es da baer mittlerweile viele Ausnahmen wo z.B. Art a und b miteinander gekreuzt fruchtbare Nachkommen haben, b mit c ebenfalls, aber a mit c nicht mehr. Die andere Möglichkeit ist ja einfach festzustellen, dass das Aussehen ein anderes ist (z.B. die Haare der Arbetierinnen bei Lasius niger und platythorax, bzw. die Thoraxform bei den Königinnnen). Aber wäre dann bei den Menschen nicht schwarzhäutige und weißhäutige Menschen unterschiedliche Arten?
Wobei Lasius niger mit L. platythorax nicht kreuzbar sind, oder?

Wie lässt sich molekulargenetisch feststellen, dass es sich um zwei verschiedene Arten handelt? So wie ich unsere Natur kenne, sind auch hier die Grenzen bestimmt fließend, oder?

Und wenn ich schon mal dabei bin: Wie verhält es sich eigentlich mit Formica rufa und Formica polyctena. Sollte man eher von zwei Arten sprechen, oder doch lieber von Unterarten?

Sorry, wenn ich gleich 100 Fragen auf einmal stelle. Aber anscheinend hab ich bei diesem Wetter (*schwitz*) auch einen besonders großen (Wissens-)Durst. Und vielleicht vermisse ich unseren Austausch im Ameisenforum.

liebe Grüße

schmidi
Buschinger
Beiträge: 1490
Registriert: 26. Apr. 2004, 12:34
Wohnort: Reinheim

Artdefinitionen etc.

Beitrag von Buschinger »

Hallo schmidi,

Die „biologische Artdefinition“ von Ernst Mayr (der ja kürzlich im Alter von 100 Jahren verstorben ist!), also freie Kreuzbarkeit aller Artangehörigen, hat auch heute noch ihre Bedeutung. Leider ist die Kreuzbarkeit in den meisten Fällen nicht experimentell überprüfbar, weil man viele Arten (bisher) einfach nicht züchten kann, und weil es bei der Unzahl von Tierarten geradezu unendlich viel Aufwand machen würde.

Also muss man sich in den meisten Fällen mit morphologischen Merkmalen begnügen (und oft genug liegt man damit falsch; deutlich verschieden gestaltete Tiere gehören dennoch derselben Art an, z.B. bei ausgeprägten Polymorphismen. So manche Ameisenart hat 3 oder mehr Namen bekommen, je nachdem, ob die Beschreiber Arbeiterin, Major, Soldat oder Königin zur Hand hatten. Nicht immer standen ganze Kolonien zur Verfügung).

Bei unserer eigenen Spezies haben m.o.w. glückliche Umstände gezeigt, dass sich Angehörige jeder „Rasse“ mit Angehörigen jeder beliebigen anderen „Rasse“ fruchtbar fortpflanzen können. Damit hat sich der Beweis für die Einheitlichkeit der Spezies Homo sapiens von selbst eingestellt. (Ich fürchte, dass ein extraterrestrischer Systematiker, der nicht die Zeit hätte, unsere Reproduktionsbiologie zu beobachten, aus unserer Art viele Arten, wahrscheinlich sogar in mehreren Gattungen, machen würde :) ).

Molekulargenetisch sind, wie Sie richtig vermuten, die Grenzen ebenfalls fließend. Man sequenziert die Basenpaare der DNS, bestimmte Abschnitte, die man leicht amplifizieren (vermehren) kann und die in vielen Arten auch in ähnlicher Form vorliegen.
Dann findet man, dass eine bestimmte Sequenz von, sagen wir 600, Basenpaaren bei zwei Individuen zu 95 % oder 98 % oder mehr übereinstimmt. Nun ist es wieder eine Konvention, dass man z.B. sagt: bei weniger als 98 % Übereinstimmung sind es zwei Arten. Man kann damit auch ganz daneben liegen!

Immerhin lassen sich damit ganz tolle Sachen herausfinden. So werden die Mitochondrien ja nur von den Müttern vererbt (in der Eizelle sind sehr viele, während im Spermium nur ein paar zu finden sind, die bei der Befruchtung oft auch noch „außen vor“ bleiben. Mitochondrien sind die „Kraftwerke“ der Zelle, die Nährstoffe abbauen und dabei energiereiches ATP, Adenosintriphosphat, freisetzen. Dieses wiederum kann für alle möglichen Syntheseleistungen, aber z.B. auch für die Muskelbewegung verwendet werden). Diese Mitochondrien sind eine Art Endosymbionten, zu Beginn der organismischen Evolution „eingefangene“ Bakterien, mit eigener, für Bakterien charakteristischer DNS. Analysiert man nun eine Sequenz aus Mitochondrien-DNS und eine Sequenz aus der Kern-DNS eines Individuums und vergleicht diese beiden Sequenzen mit denen anderer Individuen, lässt sich z.B. zeigen, dass bei einer bestimmten Spezies die Weibchen „philopatrisch“ sind, lieber am Geburtsort sich begatten lassen und dort verbleiben, während die Männchen lieber weiter fliegen und sich mit ganz fremden Weibchen verpaaren. Die mitochondriale DNS von Weibchen an einem Ort ist dann ähnlicher als ihre Kern-DNS. – So etwas haben wir gerade mit Myrmica rubra und ihrem „Sozialparasiten“ M. microrubra gemacht.

Der Artstatus der Formica rufa und polyctena wird schon lange heiß diskutiert. Das geht mal hin, mal her. Seifert hat eindeutig Hybride der beiden Formen im Freiland gefunden. Man könnte sie ohne weiteres auch als Subspezies bezeichnen. Auch hier ist es eine Konvention, dass man sie derzeit als Arten auffasst. – Bis der nächste Myrmekologe eine gute Veröffentlichung schreibt, in der er wieder ihren Status als Subspezies begründet. Leider gibt es da keinen gangbaren Weg, solches Hin und Her endgültig auszuschließen.

Zum Ameisenforum schreibe ich Ihnen eine e-mail, das muss nicht öffentlich sein.

Herzliche Grüße,
Ihr A. Buschinger
Antworten