Ameisenraub

Schreiben Sie in diesem Forum Ihre Fragen, Beobachtungen und Berichte zu Waldameisen.

Moderatoren: Gerhard Heller, Buschinger

Antworten
HBr
Beiträge: 24
Registriert: 11. Sep. 2008, 16:38

Ameisenraub

Beitrag von HBr »

Hallo,

In diesem Jahr konnte ich schon 3 mal das Umziehen ein und desselben Waldameisennestes beobachten. Beim Umzug wurden etliche Ameisen vom alten Nest "herausgezogen" und zum neuen Nest "verschleppt" (vgl. Bild). Nach dem "Herausziehen" haben sich die verschleppten Ameisen stets zusammengerollt -- evtl. um besser getragen werden zu können? (Leider habe ich davon kein Bild).

Zum einen würde mich nun interessieren ob jemand schon einmal etwas Ähnliches beobachtet hat und zum anderen was der Zweck dieser Aktion soll. Das alte Nest war danach nicht mehr belebt. Es handelt sich beim neuen Nest also um keinen Ableger.

Weiterhin würde mich interessieren ob man Anhand der Bilder die Ameisenart bestimmen kann.

Vielen Dank,
Hans
Dateianhänge
Ameisen kurz nach dem "Herausziehen"
Ameisen kurz nach dem "Herausziehen"
z1.jpg
Rene Schulze
Beiträge: 85
Registriert: 23. Mai. 2005, 15:57
Wohnort: Dresden

Beitrag von Rene Schulze »

Hallo HBr,

solche Umzüge kann man des öfteren beobachten. Die Gründe hierfür sind recht unterschiedlich, haben aber üblicherweise immer etwas mit den Standortbedingungen zu tun, z. B.:
- das alte Nest ist zunehmender Beschattung oder zu starker Besonnung (z. B. durch Baumfällung) ausgesetzt
- der Boden trocknet aus oder wird zu stark durchfeuchtet
- es treten anthropogen verursachte Störungen auf (Lärm, Abgase usw.)
- Verschlechterung des Nahrungsangebotes

Der Vorgang des Umzuges bzw. die Entscheidung umzuziehen, gestaltet sich sehr komplex und kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen.

Im Allgemeinen beginnt es damit, dass einige Arbeiterinnen auf einen Standort stoßen, der von den Bedingungen her besser geeignet erscheint, als der ursprüngliche Neststandort. Daraufhin werden Duftspuren gelegt und weitere Arbeiterinnen rekrutiert, die den neuen Standort in "Augenschein" nehmen.
Ist der Standort tatsächlich günstiger, legen auch sie bei der Rückkehr zum Nest weitere Duftspuren, wodurch diese an Attraktivität gewinnen und noch mehr Arbeiterinnen zum neuen Standort locken.
Irgendwann fangen die Tiere an, das neue Nest aufzubauen. Danach ist aber noch lange nicht die Entscheidung für den neuen Standort gefallen.

Man kann oft beobachten, dass Arbeiterinnen beginnen Brut und Innendienstarbeiterinnen zum neuen Nest zu transportieren, während andere Arbeiterinnen diese wieder zum alten Nest zurück tragen. Das kann tagelang hin und her gehen.
Die Entscheiung für oder gegen ein neuen Standort wird letztlich überaus demokratisch gefällt. Nur wenn die Mehrzahl der Arbeiterinnen der "Meinung" ist (tatsächlich entscheiden sie natürlich rein instinktiv), dass der neue Standort besser geeignet ist, überwiegt die Zahl der zum neuen Nest transportierten Brut, Innendienstarbeiterinnen und Königinnen, was schließlich die Attraktivität dieses Nestes gegenüber dem alten massiv erhöht.

Das Tragen selbst ist dabei ein üblicher Vorgang. Da Innendienstarbeiterinnen und auch Königinnen außerhalb des Nestes relativ hilflos sind, werden sie von den Außendienstarbeiterinnen getragen. Die Tiere werden hierzu an den Mandibeln gepackt und rollen sich in Puppenstellung zusammen. Das "Vor-sich-her-tragen" ist charakteristisch für Arten der Unterfamilie Formicinae (Schuppenameisen).

Arten der Unterfamilie Myrmicinae (Knotenameisen) hingegen tragen ihre Nestgenossinnen Huckepack. Auch sie werden, allerdings von unten, an den Mandibeln gepackt und Kopf voraus transportiert, so dass sie sich praktisch über Kopf und Rücken der Tragenden befinden.

Die Art bestimmen kann man mit Hilfe Deiner Bilder leider nicht. Das ist bei Waldameisen grundsätzlich etwas schwierig und häufig nur mit einer guten Lupe oder dem Binokular zu erreichen.

Anhand Deiner Bilder kann man aber zumindest einige Arten ausschließen, wie z. B. Formica truncorum, Formica pratensis, Formica uralensis oder Raptiformica sanguinea.

Viele Grüße,

René
HBr
Beiträge: 24
Registriert: 11. Sep. 2008, 16:38

Beitrag von HBr »

Hallo Rene,

Deine Antwort ist sehr informativ und hilfreich. Vielen Dank. Zur Artenbestimmung schreibst Du, dass man einige Arten ausschliessen kann. Kann man anhand der Bilder die Ameisen evtl. auf einige Arten einschränken?

Viele Grüße,
Hans
Rene Schulze
Beiträge: 85
Registriert: 23. Mai. 2005, 15:57
Wohnort: Dresden

Beitrag von Rene Schulze »

Hallo HBr,

naja, so spontan würde ich Formica rufa oder Formica polyctena in die engere Wahl ziehen, wobei letztere wahrscheinlicher ist, da diese in Deutschland wesentlich häufiger vorkommt.

Hilfreich wäre hier allerdings auch eine nähere Beschreibung des Standorts (Vegetation, Bodenuntergrund, Lage, Höhenmeter usw.).

Viele Grüße,

René
HBr
Beiträge: 24
Registriert: 11. Sep. 2008, 16:38

Beitrag von HBr »

Hallo Rene,

Das Nest liegt nun (nach dem Umzug) auf einem Schredderhaufen (Tannenholz) mitten in einer Wiese auf ca. 460 m Höhe in der Nähe von Ulm. Im Hintergrund lässt sich eine Tannenhecke erahnen, wo der frühere Standort war. Es handelt sich also um keinen Wald, sondern um Wiesen, die durch Tannenhecken voneinander getrennt sind.

Der neue Standort ist vom alten Standort max. 5 Meter entfernt, wobei der neue Standort mitten in der prallen Sonne liegt. Der alte Standort lag etwas mehr im Schatten.

Mein Vermutung bzgl. der Art liegt bei Formica polyctena, da meiner Meinung nach Formica rufa etwas größer und rötlicher erscheint und eher in Hochlagen in den Alpen vorkommt. Ausserdem war bereits vor dem erneuten Umzug zurück in die Tannenhecke an anderer Stelle ein weiteres Nest am entstehen.

Soweit ich weiss ist nur Formica polyctena polyam oder gibt es auch Mischformen der beiden Arten?

Vielen Dank,
Hans
Dateianhänge
standort.jpg
Rene Schulze
Beiträge: 85
Registriert: 23. Mai. 2005, 15:57
Wohnort: Dresden

Beitrag von Rene Schulze »

Hallo Hans,

anhand der Größe der Arbeiterinnen und auch anhand der Körperfärbung kann man Formica polyctena und Formica rufa leider nicht voneinander unterscheiden.

Zwar treten bei großen und sehr vitalen Formica polyctena-Völkern kleine Arbeiterinnen häufiger auf. Das liegt aber daran, dass diese Staaten ständig Jungköniginnen aufnehmen (in sehr großen Kolonien können bis zu 6000 fertile Weibchen vorkommen), deren erste Arbeiterinnengeneration grundsätzlich kleiner ist als nachfolgende (sogenannt Pygmäen oder Erstlingsarbeiterinnen).

Ansonsten sind die Arbeiterinnen von Formica rufa und Formica polyctena sehr ähnlich gebaut und gefärbt. Eine sicheres Unterscheiden kann nur anhand der Behaarung von Thorax und Kopfunterseite erfolgen.

Formica polyctena:
Pronotum (vorderer Thoraxbereich): kahl oder höchstens 15 Borsten
Kopfunterseite: maximal 7 kurze Haare

Formica rufa:
Pronotum (vorderer Thoraxbereich): mindestens 30 Borsten
Kopfunterseite: mindestens 10 deutliche, lange Haare

Aber da es uns die Natur natürlich auch nicht leicht machen will, treten vereinzelt auch Mischformen beider Arten auf.
Außerdem existieren bei Formica rufa eine monogyne und eine polygyne Variante.
HBr
Beiträge: 24
Registriert: 11. Sep. 2008, 16:38

Beitrag von HBr »

Hallo Rene

Du schreibst, dass Formica rufa und Formica polyctena anhand der Behaarung von Thorax und Kopfunterseite unterschieden werden.

Was zeichnet aber generell eine Waldameisenart aus bzw. ab wann spricht man von einer neuen Art? Warum sind also Formica rufa und Formica polyctena verschiedene Arten, die Mischform(en) aber nicht?

Gibt es da weitere wichtige Unterscheidungsmerkmale?

Vielen Dank,
Hans
Rene Schulze
Beiträge: 85
Registriert: 23. Mai. 2005, 15:57
Wohnort: Dresden

Beitrag von Rene Schulze »

Hallo Hans,

Die Waldameisen im engeren Sinn (Formica sensu stricto) stellen eine eigene Untergattung der Gattung Formica dar. Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale von den anderen beiden einheimischen Untergattungen Serviformica und Raptiformica sind zum Einen die ausgeprägte und immer stattfindende Errichtung von dauerhaften Kuppelbauten aus Pflanzenmaterialien, Erde und Insektenhüllen und zum Anderen die sozialparasitäre Koloniegründung bei der Untergattung Serviformica (dies gilt allerdings auch für Raptiformica).

Zwar errichtet Raptiformica sanguinea auch ab und zu Kuppelbauten (teilweise sogar recht ausgeprägte), aber oft nistet diese Art auch einfach nur im Holz bzw. direkt in der Erde.

Ab wann die Mischform zweier Arten als eigene Art gezählt werden kann, ist schwierig zu beantworten. Auf jeden Fall muss der Hybrid in der Lage sein, fortpflanzungsfähige Nachkommen zu erzeugen, die sich untereinander paaren können, um wiederum fortpflanzungsfähige Nachkommen zu produzieren. Nur wenn das für mehrere Generationen hintereinander nachgewiesen werden kann, kann man von einer eigenen Art oder zumindest Unterart sprechen.

Ob das bei den Formica polyctena/rufa-Hybriden der Fall ist, weiß ich nicht.

Andere Unterscheidungsmerkmale als die genannten gibt es zwischen Formica rufa und Formica polyctena leider nicht.

Formica rufa bevorzugt allerdings zumeist geschlossene Wälder, während Formica polyctena eher an Lichtungen und Waldrändern anzutreffen ist. Aber auch hier gibt es natürlich Ausnahmen, weswegen dies keineswegs als sicheres Unterscheidungsmerkmal gelten kann.

Viele Grüße,

René
HBr
Beiträge: 24
Registriert: 11. Sep. 2008, 16:38

Beitrag von HBr »

Hallo Rene,

Also nochmals vielen Dank für die sehr aufschlussreichen Antworten. Wenn es mir dieses Jahr noch möglich ist, werde ich die Ameisen genauer unter die Lupe nehmen. Ich tippe jetzt mal auf Formica polyctena,
bin aber schon jetzt gespannt auf das Ergebnis. :D

Viele Grüße,
Hans
Philip
Beiträge: 1
Registriert: 29. Aug. 2008, 04:49

Beitrag von Philip »

Hallo Rene and HBr!

Bitte, es tut mir sehr leid, aber muss Ich auf Englisch schreiben, weil mein Deutsch vielleicht nicht gut genug ist!

Your posts are very interesting, regarding the forms intermediate between Formica rufa and polyctena. Here in Britain we do not seem to have polyctena, and almost all our rufa seems to be of the intermediate form. The hairier continental rufa form appears very scarce or absent here. All samples of rufa from across England and Wales which I sent to Bernhard Seifert 2-3 years ago he identified as the Intermediate form. We are hoping DNA analysis of these samples will clarify their status and relationship to the continental forms. Without the two "parent" forms, it seems our intermediates cannot be hybrids, so how they compare genetically with yours will be very interesting to see.

Viele Gruesse!

Philip
HBr
Beiträge: 24
Registriert: 11. Sep. 2008, 16:38

Umzug

Beitrag von HBr »

Hallo zusammen,

Seit zwei Tagen sind die Ameisen wieder fleißig am Umziehen, wie die folgenden Bilder zeigen...

Viele Grüße,
Hans
Dateianhänge
Ameisentransport01.jpg
Ameisentransport02.jpg
Ameisentransport03.jpg
Ameisentransport04.jpg
Ameisentransport05.jpg
Antworten