Problematik von Beobachtungsnistkästen für Hymenopteren

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Werner David
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Problematik von Beobachtungsnistkästen für Hymenopteren

Beitrag von Werner David »

Liebe Naturfreunde,

im Rahmen dieses Forums wurden Beobachtungsnistkästen für Hymenopteren angesprochen, deshalb möchte ich kurz auf die Problematik bestimmter Bautypen eingehen.

Aus pädagogisch-didaktischer Sicht sind diese Kästen uneingeschränkt zu befürworten, der Blick in die Kinderstube der Insekten ist keineswegs nur für Kinder faszinierend.

Viele der Beobachtungsnistkästen benutzen Glas- oder Plexiglasröhrchen, der bekannteste Typ dürfte von der Firma Schwegler stammen. Hier entwickelt sich rasch ein reiches Artenspektrum - leider nur aus Sicht eines Mykologen! :( Auf lange Sicht sind diese Kästen absolut untauglich und eher eine Gefahr für die Insekten. Der Gasaustausch kann nur sehr eingeschränkt stattfinden, es kommt zur Kondenzwasserbildung und zur Verpilzung der Brut, die dadurch abstirbt. Erfahrungsgemäß hat meistens niemand Lust die verpilzten Röhrchen mühselig zu säubern und zu desinfizieren, daher verbleiben sie oft in ihrem traurigen Zustand.

Der Prozentsatz der abgetorbenen Brutzellen ist unterschiedlich, nach meinen Erfahrungen steigt er aber jedes Jahr an, bis man irgendwann fast 100% Ausfall hat. Ich war vor kurzem auf einer Exkursion über Naturerlebnisräume an Schulen und Kindergärten, in einigen Schulen hingen "klassische" Beobachtungsnistkästen. Der Inhalt bestand in der Regel zu ca 90% aus verfärbter, abgestorbener Brut, nur in wenigen Röhrchen existierten lebende Larven.

Eine wesentlich bessere Alternative sind Holzklötzchen mit einer eingefrästen Nut, die durch einem Plexiglasdeckel verschlossen wird. Damit bestehen immerhin drei Seiten aus atmungsaktivem Holz. Ich habe diese Kästen jetzt seit mehreren Jahren und hatte nie Ausfälle durch Schimmel. Zu Fotografieren kann der Plexiglasdeckel abgenommen werden, dadurch sind qualitativ hochwertige Makroaufnahmen möglich. (Runde Glasröhrchen verzerren das Bild, außerdem kann man unerwünschte Lichtreflexe kaum vermeiden).

Eine Bezugsquelle ist:

Schulbiologiezentrum des Landkreises Marburg-Biedenkopf
Am Freibad 19
35216 Biedenkopf

Tel: 06461-951850
Fax: 06461-951852
E-Mail: sbb@schubiz.marburg-biedenkopf.de

Fotos und weitere Informationen zu diesem Beobachtungsnistkastentyp findet ihr HIER. Wer handwerklich geschickt ist, kann dieses System sicher noch deutlich optimieren.

Eine Fülle von Anregungen zum Bau von Nisthilfen und detaillierte Informationen zum Thema Wildbienen finden sich auf der hervorragenden Website von H.J. Martin

Bewährte Nisthilfen aus Ton gibt es auf der Website von Herrn Fockenberg

Fachlich fundiertes Hintergrundwissen in Hülle und Fülle findet ihr auf der Website von Dr. Paul Westrich. Sein seit vielen Jahren vergriffenes, fantastisches Buch "Die Wildbienen Baden-Württembergs" ist immer noch die "Bibel" :wink: der Wildbieneninteressenten.

Umfangreiches Wissen rund um die Hymeopteren gibt es auch auf der Website von Dr. Melanie von Orlow

LG Werner David

P.S. Im Anhang noch ein paar Fotos aus einem meiner Beobachtungsnistkästen (Bilder zum Vergrößern anklicken!)


P.P.S. Hier noch zwei Veröffentlichungen, die dieses Thema ansprechen:

"Andrea Jakubzik, Klaus Cölln: Zur Ökofaunistik Kunstnester bewohnender aculeater Hymenopteren, Westdeutscher Entomologentag 1991".
" (...) und Nistkästen, deren aufklappbare Vorderfront in verschieden grossen Bohrungen je 16 Acrylglasröhrchen zweier Längen (100mm, 60 mm) mit Innendurchmessern von 3 bis 5 sowie 7 bis 9 mm enthielt (THIEDE 1981). (...) Die Schlüpfrate war in beiden Systemen unterschiedlich. Sie ergab für die Buchenholzklötzchen immerhin 63% und für die Acrylglasröhrchen nur 40%. Der Nachteil von Acryl ist wahrscheinlich z.T. in einem unzureichenden Gasaustausch begründet. Auch könnte bei entsprechender Witterung ein Wärmestau in den Nistkästen die Brut negativ beeinflussen. Ein Indiz hierfür ist z.B. das gelegentliche Schmelzen der aus Harz bestehenden Zellwände bei Passaloecus und Heriades."

Fritz Brechtel. Die Stechimmenfauna des Bienwaldes und seiner Randbereiche unter besonderer Berücksichtigung der Ökologie kunstnestbewohnender Arten.
Pollichia-Buch Nr. 9, Bad Dürkheim 1986)
"Mortalität: Die Mortalitätsrate in den Plexiglasröhrchen lag zwischen 13,9% (Osmia adunca) und 93,1% (Hylaeus communis), wobei Arten mit dichten Zwischenwänden und kompakten Nahrungsvorräten (z.B. Chelostoma-Arten, Psenulus fuscipennis) im Vergleich mit natürlichen Nistmateralien erhöhte Mortalitätsraten aufwiesen. Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die schlechte Durchlüftung der Plexiglasröhrchen zurückzuführen.“
Dateianhänge
Entwicklung einer Wegwespe. In der ersten "Zeile" sieht man oben deutlich die länglichen Eier. (Zum Vergrößern anklicken!)
Entwicklung einer Wegwespe. In der ersten "Zeile" sieht man oben deutlich die länglichen Eier. (Zum Vergrößern anklicken!)
Entwicklung der roten Mauerbiene (Osmia rufa), die man fast schon zu den Kulturfolgern zählen kann. Sie nimmt Nisthilfen mit Begeisterung an. (Zum Vergrößern anklicken!)
Entwicklung der roten Mauerbiene (Osmia rufa), die man fast schon zu den Kulturfolgern zählen kann. Sie nimmt Nisthilfen mit Begeisterung an. (Zum Vergrößern anklicken!)
Entwicklung von Grabwespen der Gattung Psenulus. Die Larven ernähren sich von eingetragenen Blattläusen. (Zum Vergrößern anklicken!)
Entwicklung von Grabwespen der Gattung Psenulus. Die Larven ernähren sich von eingetragenen Blattläusen. (Zum Vergrößern anklicken!)
Beobachtungsnistkasten mit gefrästen Holzklötzchen die direkt an die Bohrungen in der Frontseite anschließen.
Beobachtungsnistkasten mit gefrästen Holzklötzchen die direkt an die Bohrungen in der Frontseite anschließen.
http://www.naturgartenfreude.de: Informationen rund um solitäre Wildbienen und den Naturgartenbalkon
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