Hallo zusammen,
hier noch ein kleiner Nachtrag zum Schwarzen Holunder und der Holunderblattlaus (Aphis sambuci):
Vor dem Genuß fragen Sie besser Ihren Arzt oder Apotheker:
Nagetiere, Wild, Kühe, Pferde, Schnecken und Insekten sind sich in einem Punkt völlig einig: Maul weg vom Schwarzen Hollunder!
Sambucus nigra dürfte wohl mit einer der unbeliebtesten Pflanzen in unseren Wäldern sein, man findet so gut wie nie abgefressene Blätter oder Zweige. Sogar der Mehltau macht einen großen Bogen um diese Pflanze, obwohl er sich mit Begeisterung auf einen nahen Verwandten, den Traubenholunder oder Roten Holunder (
Sambucus racemosa) stürzt.
Diese Aversion hat sehr berechtigte Gründe!
Viele Pflanzenarten setzen organische Verbindungen zum Schutz vor Fraßfeinden ein, der Schwarze Holunder betreibt in dieser Hinsicht geradezu einen biochemischen Overkill. Ein Cocktail aus drei verschiedenen Substanzklassen (
Lektine, Lignane und Blausäuregylcoside) verdirbt selbst dem hartnäckigsten Feinschmecker gründlich den Appetit.
Lektine: Lektine sind relativ hochmolekulare Proteine. Am bekanntesten dürfte das hochtoxisch
Ricin aus der Rhizinuspflanze (Ricinus communis) und das
Phasin aus rohen Bohnen (wird beim Kochen zerstört!) sein. Der Verzehr führt zu starkem Erbrechen und Durchfall, das schmälert den Genuß doch etwas. Außerdem haben die Lektine antifungale (daher vermutlich die
Mehltauresistenz!), antibakterielle und insektizide Wirkung.
Lignane: Sie gehören zur Gruppe der Phenole und zeichnen sich vor allem durch ihre antibakterielle Wirkung aus.
Blausäureglycoside: Das
Sambunigrin wird in den Zellvakuolen der Epidermis gespeichert, in dieser Form ist es noch harmlos. (So harmlos, wie eine nicht entsicherte Handgranate!). Die blausäureabspaltenden Enzyme finden sich dagegen im Cytoplasma und den grünen Chloroplasten. Beim Zerbeißen der Blätter werden beide Komponenten freigesetzt und vermischt, Count Down läuft! Zum Einen schmeckt Blausäure bitter (der typische Bittermandelgeschmack von
Zyankali, einem Salz der Blausäure) zum anderen ist sie alles andere als gesund, sie blockiert die ATP-Bildung in der Atmungskette.
Dennoch gibt es Lebewesen, die es geschafft haben, diesen tödlichen Mechanismus zu überlisten.
Die
Holunderblattlaus (
Aphis sambuci) hat offensichtlich einen Stoffwechselweg entwickelt, der die Abspaltung von Blausäure verhindert. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Zu einen lebt sie in einem konkurrenzfreien Umfeld, zum anderen gibt sie das in ihrem Körper angereicherte, hochgiftige Sambunigrin an alle Fraßfeinde weiter, und kann sich so - zumindest posthum - eines gewissen "Ällalätsch"-Effektes erfreuen.
Viele
Marienkäferarten die eine Zeit am Hollunderblattlaus-Buffet verbracht haben, entschweben in den Marienkäferhimmel, nicht so der
Zweipunkt (
Adalia bipunctata). Auch er und seine Larve haben wiederum eine Möglichkeit gefunden, das Blausäureglycosid zu entschärfen und beide schlagen ungestraft ihre Breschen in die Blattlauskolonien.
Falls nun ein
Vogel einen solchen Marienkäfer frisst, wird er ihn aufgrund des bitteren Geschmacks vermutlich angeekelt von sich spucken und diese und ähnlich gefärbte Arten künftig meiden.
Der Holunder schützt sich also mit dem Blausäureglycosid (Sambunigrin) vor Pflanzenfressern und -saugern, die Hollunderblattlaus schlägt ihrerseits Konkurrenten aus dem Feld und wird ungenießbar für die meisten Fraßfeinde und der Marienkäfer erzielt auf der kulinarischen Hitliste von Vögeln den letzten Platz. Und das alles mit dem gleichen Wirkstoff, der ursprünglich vom Schwarzen Holunder produziert wurde.
Ist Natur nicht einfach sagenhaft!
P.S. Das Sambunigrin reichert sich zwar im Körper der Blattläuse an, nicht aber in dem zuckerhaltigen Saft den sie abgeben! Jede
Waldameise kann sich ihren Blattlaus-Shake deshalb in aller Ruhe und folgenlos zu Gemüte führen. Möge es munden!
P.P.S. Auch das Sambunigrin ist Hitzeinstabil, Hollersaft oder geröstete Läuse können daher unbedenklich genossen werden.
