Holunder (Sambucus nigra) - einst gnadenlos verfolgt...

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Jürgen Dittmer
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Holunder (Sambucus nigra) - einst gnadenlos verfolgt...

Beitrag von Jürgen Dittmer »

Liebe Ameisenfreunde,

es ist kaum erst zwei Jahrzehnte her, und der Schwarze Holunder wurde in unseren Wäldern erbarmungslos verfolgt, verdämmte er doch unsere teuren Forstkulturen über das Erträgliche weit hinaus!
Heute sind wir froh, wenn wir ihn in unseren Waldameisenkolonien haben, denn er zählt zu den frühen Honigtauspendern - wenn er auch gleichzeitig genügend Holunderläuse (Aphis sambuci) bewirtet.
Wie auf dem Foto unschwer ersichtlich, gibt er sogar sein "Letztes", wenn wir trockenes, sonniges Wetter haben! Bleibende Schäden treten aber normalerweis an den Sträuchern nicht auf.
Als Forstmann muss ich an dieser Stelle aber einflechten, dass man den Holunder etwas "im Auge behalten" muss, wenn er massiert in den Kulturen (Anpflanzungen) auftritt!


Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Dittmer
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Werner David
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Die "Zyankali"-Blattlaus (Aphis sambuci)

Beitrag von Werner David »

Hallo zusammen,

hier noch ein kleiner Nachtrag zum Schwarzen Holunder und der Holunderblattlaus (Aphis sambuci):

Vor dem Genuß fragen Sie besser Ihren Arzt oder Apotheker:

Nagetiere, Wild, Kühe, Pferde, Schnecken und Insekten sind sich in einem Punkt völlig einig: Maul weg vom Schwarzen Hollunder!

Sambucus nigra dürfte wohl mit einer der unbeliebtesten Pflanzen in unseren Wäldern sein, man findet so gut wie nie abgefressene Blätter oder Zweige. Sogar der Mehltau macht einen großen Bogen um diese Pflanze, obwohl er sich mit Begeisterung auf einen nahen Verwandten, den Traubenholunder oder Roten Holunder (Sambucus racemosa) stürzt.

Diese Aversion hat sehr berechtigte Gründe!

Viele Pflanzenarten setzen organische Verbindungen zum Schutz vor Fraßfeinden ein, der Schwarze Holunder betreibt in dieser Hinsicht geradezu einen biochemischen Overkill. Ein Cocktail aus drei verschiedenen Substanzklassen (Lektine, Lignane und Blausäuregylcoside) verdirbt selbst dem hartnäckigsten Feinschmecker gründlich den Appetit.

Lektine: Lektine sind relativ hochmolekulare Proteine. Am bekanntesten dürfte das hochtoxisch Ricin aus der Rhizinuspflanze (Ricinus communis) und das Phasin aus rohen Bohnen (wird beim Kochen zerstört!) sein. Der Verzehr führt zu starkem Erbrechen und Durchfall, das schmälert den Genuß doch etwas. Außerdem haben die Lektine antifungale (daher vermutlich die Mehltauresistenz!), antibakterielle und insektizide Wirkung.

Lignane: Sie gehören zur Gruppe der Phenole und zeichnen sich vor allem durch ihre antibakterielle Wirkung aus.

Blausäureglycoside: Das Sambunigrin wird in den Zellvakuolen der Epidermis gespeichert, in dieser Form ist es noch harmlos. (So harmlos, wie eine nicht entsicherte Handgranate!). Die blausäureabspaltenden Enzyme finden sich dagegen im Cytoplasma und den grünen Chloroplasten. Beim Zerbeißen der Blätter werden beide Komponenten freigesetzt und vermischt, Count Down läuft! Zum Einen schmeckt Blausäure bitter (der typische Bittermandelgeschmack von Zyankali, einem Salz der Blausäure) zum anderen ist sie alles andere als gesund, sie blockiert die ATP-Bildung in der Atmungskette.

Dennoch gibt es Lebewesen, die es geschafft haben, diesen tödlichen Mechanismus zu überlisten.

Die Holunderblattlaus (Aphis sambuci) hat offensichtlich einen Stoffwechselweg entwickelt, der die Abspaltung von Blausäure verhindert. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Zu einen lebt sie in einem konkurrenzfreien Umfeld, zum anderen gibt sie das in ihrem Körper angereicherte, hochgiftige Sambunigrin an alle Fraßfeinde weiter, und kann sich so - zumindest posthum - eines gewissen "Ällalätsch"-Effektes erfreuen.

Viele Marienkäferarten die eine Zeit am Hollunderblattlaus-Buffet verbracht haben, entschweben in den Marienkäferhimmel, nicht so der Zweipunkt (Adalia bipunctata). Auch er und seine Larve haben wiederum eine Möglichkeit gefunden, das Blausäureglycosid zu entschärfen und beide schlagen ungestraft ihre Breschen in die Blattlauskolonien.

Falls nun ein Vogel einen solchen Marienkäfer frisst, wird er ihn aufgrund des bitteren Geschmacks vermutlich angeekelt von sich spucken und diese und ähnlich gefärbte Arten künftig meiden.

Der Holunder schützt sich also mit dem Blausäureglycosid (Sambunigrin) vor Pflanzenfressern und -saugern, die Hollunderblattlaus schlägt ihrerseits Konkurrenten aus dem Feld und wird ungenießbar für die meisten Fraßfeinde und der Marienkäfer erzielt auf der kulinarischen Hitliste von Vögeln den letzten Platz. Und das alles mit dem gleichen Wirkstoff, der ursprünglich vom Schwarzen Holunder produziert wurde.

Ist Natur nicht einfach sagenhaft!


P.S. Das Sambunigrin reichert sich zwar im Körper der Blattläuse an, nicht aber in dem zuckerhaltigen Saft den sie abgeben! Jede Waldameise kann sich ihren Blattlaus-Shake deshalb in aller Ruhe und folgenlos zu Gemüte führen. Möge es munden! :D

P.P.S. Auch das Sambunigrin ist Hitzeinstabil, Hollersaft oder geröstete Läuse können daher unbedenklich genossen werden. :wink:
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Jürgen Dittmer
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Die Zyankali - Blattlaus Aphis sambuci

Beitrag von Jürgen Dittmer »

Hallo, Herr David,

vielen Dank für Ihren „kleinen Nachtrag“ zu meinem Artikel betr. Sambucus niger, ich würde ihn lieber als sehr interessanten Beitrag bezeichnen wollen!

Ich hatte versucht, zumindest verbal, einiges von dem wieder gut zumachen, was ich diesem Strauch jahrzehntelang (während meiner vierzigjährigen Dienstzeit) angetan hatte :lol: ! Dass der Schwarze Holunder ein derart unliebsamer Geselle sein soll, oder ist, das wiederum wusste ich bis zu Ihrem Artikel nicht so genau! Aber, wo Schatten ist, da ist ja auch Licht: er war mir stets ein guter Mahner, wenn es um die Bekämpfung waldschädlicher Mäuse ging 8) !
Bereits bevor diese schädlichen Nager nämlich meine mühsam und teuer gepflanzten Bäumchen durch Nageschäden vernichteten, zeigte der Holunder bereits das Vorhandensein der Rötelmaus an! Die Rinde dieses Strauches hatte (allermeistens!) Vorrang :lol: vor der der Kulturpflanzen. Sie scheint diesen im Walde lebenden Mäusen zu schmecken - und wohl auch zu bekommen! Und der Umstand, dass die genannte Maus gern klettert, um weiter oben an noch zartere Rinde heranzukommen, verriet sie bereits aus der Ferne: hier muss etwas getan werden gegen eine bedrohliche Massenvermehrung mindestens einer der im Wald sehr schädlichen Nagetierarten! Die frisch entrindeten Stämmchen bzw. Zweige leuchteten weit. Also in Wegesnähe belassener Holunder hatte auch seine Vorteile! (Man konnte seine Diagnose also bereits aus dem fahrenden Auto heraus stellen und entsprechende Maßnahmen einleiten! :lol: ) Der Holunder geht übrigens oberhalb der Fraßstellen ein, treibt aber von unten her um so üppiger wieder aus. - Es gibt unter den Tieren doch Zeitgenossen, die sich durch den Bittermandelgeschmack nicht entmutigen lassen - und das Gift auch vertragen. Nicht entmutigen lässt sich auch der Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis), der dieses Jahr zu meinem Entsetzen Unmengen von Holunderblattläusen (Aphis sambuci) verzehrte :( ! Ob dem ungebetenen Gast diese Speise wirklich bekam, das weiß ich allerdings nicht. Wenn nächstes Jahr keine As. Marienkäfer mehr auftauchen, dann werde ich wohl Schwarzen Holunder anpflanzen - wo er fehlt :lol: !
An dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollte zudem, dass Holunderlaub eine positive Wirkung auf die Humusentwicklung ausübt; das wiederum kann recht gut zur Melioration künstlich entstandener Rohböden genutzt werden.

Übrigens: einige frische zarte Triebe des Schw. Holunders als kleine Zugabe beim Räuchern von Forellen verbessert das Aroma auf angenehme Weise, und vom bitteren Geschmack und der Giftigkeit merkt man dank Erhitzung nichts.


Mit freundlichen Grüßen!

Jürgen Dittmer
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Werner David
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Beitrag von Werner David »

Lieber Herr Dittmer,

danke für die nette Rückmeldung! :D

Den Einsatz des schwarzen Holunders als unfreiwilligen "Rötelmaus-Indikator" finde ich eine sehr originelle Idee.
Vielleicht sollten Sie diese Erfahrungen in einer Veröffentlichung zusammenfassen: "Semiquantitative Populationsanalyse von Myodes glareolus bei 60 km/h" :wink: Daß auch die Rötelmaus in irgendeiner Weise zur Giftentschärfung fähig ist, wußte ich bisher nocht nicht, wieder was dazugelernt!

Auch der Einsatz von Sambucus nigra als Zusatz beim Räuchern war mir neu, falls mir also irgendwann eine Forelle in suizidaler Absicht vor die Kühlerhaube springen sollte, werde ich Ihr Rezept testen :wink:

Um Flöhe und Fliegen zu vertreiben empfahl Plinius das Besprengen von Haustieren mit einem Absud aus jungen Hollunderblättern.

L. Ritter von Perger berichtet 1864: "Tisch und anderes Holzgeräth mit Hollunderblättern gewaschen, wird nie wurmstichig".

Auch die antibakteriellen Eigenschaften des Holunders spiegelt sich in vielen alten Kräuterbüchern in der Behandlung von Wunden wider.

Die aniviralen Eigenschaften gegenüber verschiedenen Stämmen von Grippeviren wurden 1995 in einer placebokontrollierten Doppelblindstudie getestet. Bei 93 Prozent der Probanden ergab sich bereits nach zwei Tagen eine signifikante Linderung der Beschwerden, bei der Kontrollgruppe erst nach sechs Tagen.

Diese Pflanze hat es also wirklich faustdick hinter den nicht vorhanden Ohren! :)

LG Werner David
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Boro
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Beitrag von Boro »

Mit dem schwarzen Holunder, bei uns kurz "Holler" genannt, verbinde ich eine Reihe von Erinnerungen aus früherer Zeit:
In den Alpenländern stand der Holunder immer in hohem Ansehen wegen seiner medizinischen Anwendungsmöglichkeiten. Noch heute sieht man bei Bauernhöfen sehr häufig einen großen Holunderstrauch. Mir ist noch in Erinnerung, dass alte Leute erzählten, wenn man bei einem Hollerstrauch vorbeigeht, sollte man den Hut ziehen. Wohl wegen seiner "wundersamen" Eigenschaften. Die Leute sprachen von dieser Pflanze mit einer gewissen Ehrfurcht.
Mir ist aus der Jugend in Erinnerung, dass es jährlich im Frühjahr mit einem Teig überbackene Hollerblüten gab. Der Geschmack ist ja etwas eigenwillig und nicht jeder mag ihn. Auch Hollersaft oder später Hollersekt wurde aus den Blüten hergestellt und als sehr gesund gepriesen.
Ich selbst habe in Unwissenheit der Folgen vor langer Zeit einmal die reifen, schwarzen Beeren gegessen. Sie schmeckten recht gut, aber die Folgen waren Übelkeit und Erbrechen.
Heute weiß ich natürlich, dass man aus den dunklen Beeren durch Abkochen sehr wohlschmeckende Säfte und Marmeladen herstellen kann. In der Steiermark/Österreich gibt es schon einige Jahrzehnte eine Reihe von Pflanzungen zur Gewinnung der reifen Beeren.
Hier habe ich noch einen Artikel gefunden, der u. a. die Anwendungsmöglichkeiten der Pflanze beschreibt:
http://salzburg.orf.at/magazin/leben/ge ... es/131464/
Beste Grüße von Volker Borovsky
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