Männchen wird nur, wer seine Mutter frisst ...

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Buschinger
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Männchen wird nur, wer seine Mutter frisst ...

Beitrag von Buschinger »

Es geht hier mal nicht um Ameisen, deren normaler Lebenszyklus ja auch schon viele verunsichert, sondern um Käfer. Ich stieß zufällig auf die folgende Geschichte, und ich finde sie so faszinierend, dass ich sie einfach weiter bekannt machen möchte. Die Käfer gehören in die Verwandtschaft unserer Ölkäfer (Meloidae), die ja ebenfalls schon eine komplizierte Larvalentwicklung haben.

Hier: http://www.blackwell-synergy.com/doi/ab ... 02.00183.x
The life cycle of Micromalthus debilisLeConte (1878) (Coleoptera: Archostemata: Micromalthidae): historical review and evolutionary perspective
D. A. POLLOCK & B. B. NORMARK
Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research
40, 105 - 112, 2002.

Zusammenfassung:

Der Lebenszyklus von Micromalthus debilis LeConte 1878 (Coleoptera: Archostemata: Micromalthidae): historischer Überblick und evolutive Perspektive

Der Lebenszyklus von Micromalthus debilis LeConte 1878 ist der bizarrste innerhalb der gesamten Metazoen. Die Reproduktion ist im typischen Fall durch Thelytokie, Viviparie und larviforme Weibchen charakterisiert, aber auch eine arrhenotoke Phase kommt in seltenen Fällen vor. Das aktive erste Larvenstadium (Triungulinus) entwickelt sich zu einer beinlosen Larve die Nahrung aufnimmt (cerambycoide Larve). Diese verpuppt sich, was zum späteren Schlüpfen eines diploiden, adulten Weibchens führt, oder entwickelt sich zu einer von drei folgenden reproduktiven pädogenetischen Formen: (1) ein thelytokes Weibchen, das lebendgebärend Triungulinus-Larven hervorbringt; (2) ein arrhenotokes Weibchen das ein einziges Ei produziert, das sich zu einer kurzbeinigen Larve entwickelt (curculionoide Larve), die ihrerseits das Erzeugertier verzehrt und sich zu einem haploiden adulten Männchen entwickelt; oder (3) ein amphitokes Weibchen, das beide reproduktiven Wege beschreiten kann. Wir vermuten, dass Micromalthus von mütterlicherseits übertragenen Bakterien abhängt, um verrottendes Holz verdauen zu können, und dass diese Bakterien in Männchen degeneriert sind. Dadurch wird im männlichen Geschlecht Kannibalismus obligatorisch. Obligatorischer Kannibalismus bei den Männchen würde wiederum die Kosten der Produktion von Männchen drastisch erhöhen. Daraus ergibt sich ein starker selektiver Vorteil für die zyklische Thelytokie und für andere Besonderheiten des Lebenszyklus von Micromalthus, die die Rolle des Männchens minimieren.

Bilder dazu sind hier zu finden (neben vielen tollen Ameisenbildern):
http://www.myrmecos.net/new.html

Aus Wikipedia:
Die ursprüngliche Heimat des Käfers ist wahrscheinlich der Osten der USA. Die ersten Exemplare wurden 1878 von LeConte aus Detroit beschrieben, wo sie in verrottetem Holz gefunden wurden. Vermutlich durch Verschleppung durch den Menschen wurde das Tier jedoch seit 1938 auch in Südafrika, in Hong Kong, auf Kuba, in Brasilien, auf Hawaii und in British Columbia gefunden. Meldungen aus New Mexico und Florida folgten 1991. Im gleichen Jahr wurde mit dem Fundpunkt Gibraltar auch schon Europa erreicht.
Erstaunlich finde ich, dass selbst ein Organismus mit derart kompliziertem Lebenszyklus in ferne Länder, ja Kontinente verschleppt werden kann und sich dort erfolgreich ansiedelt!

Viele Grüße,
A. Buschinger
!!! EINHEIMISCHE HAUSAMEISEN SIND KEINE SCHÄDLINGE per se !!! - Sie nutzen nur Baufehler bzw. Bauschäden zur Anlage ihrer Nester. Dies ist anders bei Exoten wie Pharaoameise, Pheidole spp. usw..
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