Ungeplantes Formicarium/Erfahrungsbericht/Artbestimmung

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Mathieux
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Registriert: 05. Mai. 2021, 01:34

Ungeplantes Formicarium/Erfahrungsbericht/Artbestimmung

Beitrag von Mathieux »

Hallo, Ihr Lieben :-)


Kurz zu mir (da neu hier): Ich bin "Hase", kürzlich 40 Lenzen jung geworden und nunmehr schon seit über 20 Jahren echt fasziniert von Ameisen (und anderem Getier). So liegt es sicherlich auch nicht allzu fern, dass mein Lebenstraum auch stets der war, selbst einmal Ameise sein zu wollen. Als ich allerdings dann feststellen musste, dass das genetisch gar nicht geht, habe ich mich mit der Vorstellung begnügt, eines Tages zumindest eine Ameisenfarm mein Eigen nennen zu können. Zusammen mit meiner neuen Partnerin haben wir uns dann vor einigen Wochen dazu entschieden, uns eine solche anzuschaffen.

Nun habe ich eine.

Nur nicht ganz so wie erwartet und geplant. Wieso, weshalb und warum lest Ihr bei Interesse einfach gleich selbst :-)

--- Vorgeschichte ---

Es war ein schöner, warmer Frühlingsdienstag vergangene Woche; Da begab ich mich in den nahe gelegenen Wald, um ein wenig Energie zu tanken und Naturdeko zu sammeln (oder anders ausgedrückt: Meine Freundin musste ihr neues YT-Video abdrehen und ich wurde dafür der Wohnung verwiesen ^^).

Ich genoss also die Idylle der von der Abforstung bislang noch verschonten Wuchsflächen NRWs und sammelte hier und dort ein paar kleinere Schiefersteinchen ein, suchte mir in unwegsamen Gelände einen maroden Wanderstock aus bislang noch undefiniertem Geäst, packte ein paar intakte hübsche Birkenrinden ein und ein wenig Moos. Das alles zum Zwecke der Dekoration meiner bislang etwas langweilig geratenen Kübelpflanzen in der neuen Freundins Wohnung, wo ich mich hausbesetzermäßig einfach mal mit einquartiert habe ^^

Unter diesem Sammelsurium an natürlichem Kleinod befand sich auch ein Stück rindenloser Ast, an beiden Enden bewuchst mit frischem grünen Moos: Zwecklos ... aber hübsch anzusehen und eventuell brauchbar als Elementarteilchen für ein geplantes Terrarium (ohne Besatz), dachte ich so bei mir.

Später am Abend klopfte ich dann allen "Naturabfall" über großflächig angelegtem Backpapier aus, um lose und marode Teile loszuwerden, überschüssige Erde und natürlich auch diverses Getier, denn ich bin kein Freund davon, im Backofen zu sterilisieren.

Hierbei kamen mir auch direkt ein oder zwei Ameisen entgegen, die ich liebevoll mit einem dünnen Fetzen Papier eingesammelt und erst einmal in ein Apothekergläschen immigriert habe.

Dann kamen noch 2 dazu. Und noch 2. Und nach gut einer halben Stunde noch 5 weitere. Und dann nochmal 4 und ... ach ... einfach so weiter eben.

Am Ende hatte ich nach gut 2 Stunden (grob gezählt) an die 42 kleine Krabbler eingesammelt.

Nun gestaltete es sich aber so, dass ich die ersten kleinen Racker aus der Not heraus (es zeichnete sich ja lange nicht ab, dass da noch welche dazu kämen) bereits in ein "Terrarium" setzte, das ich zu dem Zeitpunkt aus den eingesammelten Waldgütern heraus bereits am Einrichten war. Es sollte nur ein hübsches Anschauungsobjekt werden - ein bauchiges Glas von ca. 2 1/2 Litern Fassungsvermögen -in dem einst Oliven eingelegt waren- für ein klein wenig Erde, Gras und Moos ... im Gartencenter zahlt man fast 30 Euro dafür, das kann ich auch selbst ^^ Darin landeten die ersten Ameisen, denn einfach aussetzen war jetzt mitten in der Nacht auch nicht so die Idee des Jahrhunderts, zumal ohnehin getrennt von der Kolonie und wo sie exakt starben ist dann auch schon latte eigentlich.

Als ich dann später immer mehr einfangen musste ... mussten die natürlich auch dort landen, weil ... ergibt sich irgendwie aus der Logik heraus und von selbst. Und damit beginnt unsere Reise :-)

--- Erfahrungsbericht ---

Kurze Zeit später - ich beobachtete das rege Treiben natürlich sehr interessiert und fasziniert bis in die frühen Morgenstunden hinein - durfte ich einem kleinen aber epischen "Bürgerkrieg" beiwohnen: Scheinbar habe ich zwei Kollonien erwischt; Eine aus dem Ast und eine zweite, deutlich kleinere, aus vermutlich einer der Birkenrinden oder den Moodballen.

Na jedenfalls: Gemetzel erstmal. Sorry dafür.

Tags darauf war fast keine Action mehr wahrzunehmen. Hier und dort mal vereinzelt eine kleine "Baby-Ameise" ... aber sonst ... Totenruhe. Da ich das Glas mit Frischhaltefolie abgedeckt habe (mit den kleinsten Luftlöchern, die denkbar sind, damit nichts ausbüchst) ging ich spätestens an Tag 3, an dem gar nichts mehr passiert, davon aus, dass sie entweder erstickt oder unter der Luftfeuchte eingegangen sind.

*sad but true*

An Tag 4 entdeckte ich, dass aus dem Ast (der seither einfach auf der Fensterbank lag) noch weitere Ameisen ausbüchsten, die ich zugleich auch zu Kolonialisten machten, denn ich wusste, dass jetzt zumindest alle aus einem Volk stammen würden. Das müssen so an die 14 Nachzügler gewesen sein, die ich noch in das Glas setzte, das scheinbar ja nicht alle getötet hat, also kann´s so schlecht auch nicht sein. Man redet es sich halt schön.

Kurz darauf war die Hölle los:

Große Ameisen "griffen" kleine Ameisen an, schleppten sie durch die Gegend ... einige "knutschten" so lässig vor der Kamera oder nahmen Reißaus. Aber am Nächsten Tag war die Population an der Oberfläche nach wie vor ähnlich derer, die ich zuletzt einsetzte. Ich musste also dafür sorgen, dass sie genug Sauerstoff bekommen aber nicht abhauen können.

Die üblichen Verdächtigen waren an einem WE nicht aufzutreiben (wie Talkum bspw.) und Pflanzenöle oder Spüliwasser wären mächtig unschön gewesen, weil es natürlich das Glas herunterlaufen würde und ranzig wird und überhaupt. Ne. Bäh.

--- Die Lösung ---

Ich weiß nicht, ob es schonmal jemand probiert hat, aber bei mir hat es sich seit 3 Tagen bewährt: Kokosöl!!!

Das hat - je nach Temperatur - ja zwei Aggregatzustände ... ist aber in beiden Fällen unpassierbar für zumindest meine (noch unbestimmte - dazu gleich mehr) Art von Ameisen. Die ersten Wagemutigen haben sich alleine vom Geruch schon von Glashals fernhalten lassen, alle späteren haben direkt mit den Fühlern gemerkt, dass sie es lassen sollten. Ein paar wenige haben davorgehockt und es scheinbar gegessen ... aber keine einzige ist über den Film gewandert.

Okay. Doch. Eine. Gestern. Aber da habe ich das Moos kurz mit Wasser angesprüht und ein Tropfen hat sich da wohl am Kokosölrand abgesetzt und diese kleine Rille, die dadurch enstandt, war der Freifahrtschein für exakt eine einzige Ameise ... das war´s aber auch schon und die konnte eingesammelt werden.

Inzwischen verhält es sich an Tag 6 (respektive inzwischen 7) so, dass keine einzige Ameise mehr einen Ausbruchversuch startet. Vorher haben sie sich wie kleine Traumen zusammengerottet unter der Folie, inzwischen gar nicht mehr. Die Population scheint aber auch nicht merklich dezimiert zu sein, denn ich sehe regelmässig bis zu 14 Ameisen auf einmal im Außendienst.

--- Beobachtungen ---

- Ich habe zwischen 2 und 4 "Wächterinnen" respektive Soldaten im Formicarium, alle anderen scheinen die kleinwüchsigeren Arbeiterinnnen zu sein. Die werden auch regelmäßig rekrutiert, was imho daran liegen könnte, dass das Glas einfach zu klein ist, um wirklich ein sinnvolles Nest anzulegen bzw. eben keine Königin vorhanden ist, die man mit seinen Aufgaben bespielen kann bzw. muss.

- Inzwischen scheint sich eine gewisse Rollenverteilung einzuspielen: 3-4 Arbeiterinnen befinden sich mehr oder weniger regelmässig an der Futterquelle, während die deutlich größeren ihre "Runden drehen", Faulenzer einsammeln oder "Schnäbeln", also die anderen mit Nahrung versorgen und putzen.

- Ein kleiner Käfer (kaum größer als die Ameisen) lebt auch in dem Glas; die scheinen in Koexistenz zu leben, denn den greift keiner an. Der bedient sich auch gleichzeitig mit den Ameisen an der Futterquelle und nimmt nur Reißaus, wenn seine Fühler berührt werden. Ansonsten ist das chillig.

- Weintrauben werden verschmäht, Honig, Käse und Katzenfutter (trocken) werden indes inzwischen angenommen. Zumindest saßen heute zahlreiche Arbeiterinnen lange Zeit davor und haben irgendwas gemacht ^^

--- Fragen ---

1) Wie hoch könnte die Wahrscheinlichkeit sein, dass sich die meisten der ursprünglich eingesetzten 42 Individuen ein Nest in der Mitte gebaut haben und ich sie deshalb einfach nie gesehen habe (statt anzunehmen, wie seien tot)...?

2) Wie kann ich herausfinden, ob eine Population noch existiert/funktioniert, ohne ihnen ein neues Nest als Anreiz zu bieten, in das sie umziehen möchten? Denn im Zweifel sind ja gut 2/3 aller Arbeiterinnen im Innendienst, ich sehe also, wenn, gerade eh nur einen Bruchteil womöglich.

3) Kann die Kolonie ohne Königin überhaupt dauerhaft überleben? Ich meine: Aktuell scheint das Futtersystem ja zu funktionieren, aber was, wenn der "Beschaffungsgedanke" für den Bau flöten geht oder die paar "Hebammen" den Dienst quittieren sollten? Dann ist ja kein Sozial- und Leitsystem mehr vorhanden, oder!?

4) Wenn ich (wie zu Beginn) irgendwann gar keine Ameisen mehr sehen sollte... wie finde ich heraus, ob überhaupt noch eine Population existiert und wenn, wie es ihr geht?

Anmerkung: Das Terrarium besteht aus (dummerweise) Blumenerde, ein paar Grashalmen sowie Rinden und Moos aus dem Wald. Und ein paar belanglose Steinchen.

5) Besteht eine Möglichkeit, das in dem Ast gar eine Königin sitzt und wenn ja, kann die die letzten Tage überlebt haben und wenn ja, wie setze ich sie im Zweifel am Besten um?

--- Artenbestimmung ---

An der Stelle sei erwähnt, dass ich es um´s Verrecken noch nicht geschafft habe, die Art zu bestimmen.

Meine Ameisen haben einen roten Körper - weshalb ich zuerst natürlich auf die rote Waldameise getippt habe. Wahlweise auf eine Wegameise.

Allerdings ist mir nach längerer Beschau gerade an den größeren Tieren aufgefallen, dass sie keinen dunklen Gaster haben, sondern im Gegenteil: der Hinterleib ist in drei Segmente geteilt, wovon das letzte hintere Segment heller ist. Mir ist keine heimische Art bekannt, die insgesamt rot ist aber mit einem helleren Hinterteilsegment statt dunkel. Es gibt eine australische Ameisenart, auf die das zutreffen würde, aber die ist hier in NRW wohl kaum heimisch ^^ Zumal es sich auch nicht um Knotenarmeisen handelt, soweit ich das erkennen konnte.

Ich würde mich freuen,

wenn jemand meinen langen Beitrag lesen und gehaltvoll kommentieren möchte :-)

Mit den besten Grüßen

Hase :-)
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