Was sind eigentlich invasive Arten?
Verfasst: 02. Dez. 2005, 21:20
Nicht nur in diesem Forum ist häufig von invasiven (Ameisen)arten die Rede. Auf den ersten Blick erscheint alles klar. Bei den Ameisen ist die Argentinische Ameise (Linepithema humile) ein prominentes und in Europa für die Mittelmeerküsten relevantes Beispiel. Sie wird in der Global Invasive Species Database der Invasive Species Specialist Group (ISSG) zu den 100 schlimmsten Invasoren gezählt.
Die genannte Datenbank umfasst invasive Arten aller Gruppen (Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere), die die Biodiversität gefährden. Als invasiv werden Organismen definiert, die sich nach Verschleppung (absichtlich oder unabsichtlich) in der neuen Umgebung etablieren und dann in intakte native Ökosysteme einbrechen. So ähnlich steht es auch in der Convention on Biological Diversity (CBD): Eine invasive fremde Art meint eine fremde Art, deren Einschleppung und/oder Ausbreitung die Biodiversität bedroht.
Bezogen auf Ameisen findet sich eine entsprechende Definition z.B. bei STEINER et. al. in einer Publikation über die in den USA invasiv auftretende Art Tetramorium tsushimae. Demnach sind Arten invasiv, wenn sie in natürliche Lebensräume eindringen und die dortigen Gesellschaften von Ameisen und anderen Organismen direkt oder indirekt schädigen.
Diese Definitionen betreffen also eindeutig den Einfluss auf die Biodiversität in natürlichen Lebensräumen.
Eine umfassendere Definition findet sich dagegen bei dem amerikanischen National Invasive Species Council, wonach eine invasive Art definiert ist als eine Spezies, die
1. in einem Ökosystem nicht-nativ (oder fremd) ist und
2. deren Verschleppung ökonomische oder Umweltschäden oder Schäden an der menschlichen Gesundheit verursacht oder zu deren Verursachung geeignet ist.
Hier ist also nicht direkt von Biodiversität die Rede, wohl aber kann man dies in Zusammenhang mit den Umweltschäden so sehen. Zusätzlich kommen der ökonomische Schaden und die menschliche Gesundheit ins Spiel, was bedeutet, dass darunter auch der Riesenanteil von Pflanzen-, Material- und Gesundheitsschädlinge fällt, wo Biodiversität keine große Rolle spielt.
Schaut man sich nun mal in der Datenbank der ISSG um, deren Definition von Invasoren ja die Bedrohung der Biodiversität betont, so muss man (ich beschränke mich nur auf die Insekten) erstaunt feststellen, dass hier Arten dabei sind, die der eigenen Definition widersprechen. Zwei Beispiele aus der Liste der hundert invasivsten Organismen:
1. Aedes albopictus
Die Tigermücke ist ursprünglich in Südostasien beheimatet. Die Art legt ihre Eier in Kleinstgewässer ab, so z.B. auch in Pfützen, die nach Regen in nicht abgedeckten Autoreifen zurück bleiben. Gegen Austrocknung sind die Eier resistent. Mit dem internationalen Gebrauchtreifenhandel gelangte die Tigermücke in die USA und von dort Anfang der 90er Jahre nach Südeuropa, von wo sie sich nordwärts ausbreitete. Mittlerweile ist sie in der Normandie angelangt. Dies gelingt ihr dadurch, dass sie, obwohl tropischen Ursprungs, eine Winterdiapause einlegen kann.
Nun ist die Tigermücke zweifellos zumindest im Mittelmeerraum potentiell ein sehr gefährlicher Vektor von Viruserkrankungen. Unter anderem ist sie Überträger des Gelbfieber- und Dengue-Virus, die beide schon früher in Europa endemisch waren aber eine Gefährdung der Biodiversität kann ich nicht erkennen.
2. Trogoderma granarium
Der Khaprakäfer (Familie Speckkäfer, Dermestidae) ist ein Vorratsschädling besonders an lagerndem Getreide und an Getreideprodukten. Getreidekörner werden von den Larven bis auf die Schale ausgefressen, wodurch große Verluste entstehen können. Trotzdem ist mir nicht klar, weshalb nun ausgerechnet der Khaprakäfer in die Liste der 100 Top-Invasoren aufgenommen wurde. Abgesehen davon, dass von dieser Art keine Bedrohung der Biodiversität ausgeht, wird sie in ihrer Bedeutung als Vorratsschädling von anderen Insektenarten (Reiskäfer Sitophilus oryzae, Getreidekapuziner Rhizopertha dominica, Getreidemotte Sitotroga cerealella u.a.) weltweit deutlich übertroffen. Als weiterer Gesichtspunkt für die Schädlichkeit des Khaprakäfers wird der indirekte Effekt auf die Umwelt genannt, weil man den Käfer ja bekämpfen und dafür umweltschädliche Begasungsmittel verwenden muss. Dies ist freilich ein recht merkwürdiges Argument und betrifft fast alle Schädlinge, die mit Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden bekämpft werden, denn ein Großteil der Mittel hat Nebenwirkungen auf die Umwelt. Speziell beim Khaprakäfer ist das Gas Monobrommetan (Methylbromid) gemeint, das eine ozonschädigende Wirkung hat. Deswegen allerdings ist seine Anwendung gemäß Montreal-Abkommen verboten oder stark eingeschränkt. Selbst wenn ein Restanwendungsgebiet im Vorratsschutz für Sonderfälle bestehen bliebe, so würden die hierfür benötigten Mengen dieses Gases nur einen Bruchteil dessen betragen, was durch Verfeuerung, Wald- und Steppenbrände, Halophyten (Salz- und Mangrovepflanzen werden das mit Salzwasser aufgenommene Chlor, Brom und Jod durch Metabolisierung zu Methylhalogeniden wieder los), Ozeane und aus Böden durch abiotische Prozesse beim normalen Abbau organischer Substanz emittiert wird. Ohnedies steht mit dem nicht luftschädigenden Phosphorwasserstoff schon seit vielen Jahrzehnten ein Gas zur Verfügung, mit dem alle Vorratsschädlinge in Lägern und Silos bekämpft werden können.
Da nun die ISSG nicht nur Arten auflistet, die die Biodiversität betreffen sondern auch Hygiene- und Agrarschädlinge, ist man erneut überrascht, dass man weder bei den 100 schlimmsten Organismen noch in der kompletten Insektenliste Arten findet, die einem als Paradebeispiele weltweiter Verschleppung vertraut sind. Ich vermisse z.B. die Pharaoameise, die vor ein paar Monaten in einer im WDR (ich glaube es war die Wissenschaftssendung Q 21) vorgestellten Hit-Liste auf Platz 2 der schlimmsten Invasoren landete, direkt hinter dem HIV-Virus (m. E. etwas zuviel der zweifelhaften Ehre). Vergeblich suchte ich auch nach einer Schabenart (etwa Blattella germanica) oder nach der Stubenfliege, die es in ihrer weltweiten Verbreitung mit allen andern locker aufnehmen können und beträchtliche Relevanz für Hygiene etc. haben. Aber vielleicht sind diese Insekten schon so selbstverständlich, dass sie gar nicht mehr als Invasoren wahrgenommen werden.
Ohnedies spielt der historische Zeitfaktor eine Rolle. Als Neozoen bzw. Neophyten oder allgemein Neobionten werden nämlich bei uns nur diejenigen Arten bezeichnet, die nach dem Jahr 1492 hier ansässig wurden. Das hängt wohl mit der Entdeckung Amerikas (bzw. zunächst der Antillen) durch Kolumbus zusammen. Als ob nicht schon vorher einiges zu uns verschleppt worden wäre! Es ist klar, dass irgendwann ein Schnitt gemacht werden muss, denn es hätte natürlich wenig Sinn, Klatschmohn, Kornblume oder Feldhamster als Neobionten zu bezeichnen, nur weil sie ursprünglich nicht in Mitteleuropa heimisch waren.
Um nochmal auf die Argentinische Ameise zurückzukommen: soweit mir aus der Literatur bekannt ist und wie ich es immer wieder beobachtet habe, hat die Art an der Mittelmeerküste eine starke Affinität zu urbanen, zersiedelten und gestörten Habitaten. Ich selbst kann mich nicht erinnern, die Art in weitgehend intakter Natur gesehen zu haben. Sicher kommt aber auch das manchmal vor. Entsprechend der ausgeprägten Bindung von Linepithema an gestörte Habitate wäre die Art nach wörtlicher Auslegung der ISSG-Definition, wonach eine Ausbreitung in intakte Habitate das Kriterium ist, im Mittelmeerraum überhaupt kein oder nur ein lokaler Invasor, da Naturhabitate wenig betroffen sind. Irgendwie absurd! Und in ca. 500 Jahren (solange ist das ja auch mit dem Kolumbus bis heute her) erhalten die ursprünglichen Argentinier die Erlaubnis archaeobiontische Europäer zu sein.
Kurzum, ich blicke bei den Kriterien nicht durch, außer wenn ich mich an die allgemeinere amerikanische Definition halte, die praktisch auf alles, was irgendwie lästig oder schädlich ist, angewendet werden kann. Vielleicht habe ich auch etwas übersehen oder missverstanden. Jedenfalls hoffe ich auf Hilfe und Aufklärung.
Die genannte Datenbank umfasst invasive Arten aller Gruppen (Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere), die die Biodiversität gefährden. Als invasiv werden Organismen definiert, die sich nach Verschleppung (absichtlich oder unabsichtlich) in der neuen Umgebung etablieren und dann in intakte native Ökosysteme einbrechen. So ähnlich steht es auch in der Convention on Biological Diversity (CBD): Eine invasive fremde Art meint eine fremde Art, deren Einschleppung und/oder Ausbreitung die Biodiversität bedroht.
Bezogen auf Ameisen findet sich eine entsprechende Definition z.B. bei STEINER et. al. in einer Publikation über die in den USA invasiv auftretende Art Tetramorium tsushimae. Demnach sind Arten invasiv, wenn sie in natürliche Lebensräume eindringen und die dortigen Gesellschaften von Ameisen und anderen Organismen direkt oder indirekt schädigen.
Diese Definitionen betreffen also eindeutig den Einfluss auf die Biodiversität in natürlichen Lebensräumen.
Eine umfassendere Definition findet sich dagegen bei dem amerikanischen National Invasive Species Council, wonach eine invasive Art definiert ist als eine Spezies, die
1. in einem Ökosystem nicht-nativ (oder fremd) ist und
2. deren Verschleppung ökonomische oder Umweltschäden oder Schäden an der menschlichen Gesundheit verursacht oder zu deren Verursachung geeignet ist.
Hier ist also nicht direkt von Biodiversität die Rede, wohl aber kann man dies in Zusammenhang mit den Umweltschäden so sehen. Zusätzlich kommen der ökonomische Schaden und die menschliche Gesundheit ins Spiel, was bedeutet, dass darunter auch der Riesenanteil von Pflanzen-, Material- und Gesundheitsschädlinge fällt, wo Biodiversität keine große Rolle spielt.
Schaut man sich nun mal in der Datenbank der ISSG um, deren Definition von Invasoren ja die Bedrohung der Biodiversität betont, so muss man (ich beschränke mich nur auf die Insekten) erstaunt feststellen, dass hier Arten dabei sind, die der eigenen Definition widersprechen. Zwei Beispiele aus der Liste der hundert invasivsten Organismen:
1. Aedes albopictus
Die Tigermücke ist ursprünglich in Südostasien beheimatet. Die Art legt ihre Eier in Kleinstgewässer ab, so z.B. auch in Pfützen, die nach Regen in nicht abgedeckten Autoreifen zurück bleiben. Gegen Austrocknung sind die Eier resistent. Mit dem internationalen Gebrauchtreifenhandel gelangte die Tigermücke in die USA und von dort Anfang der 90er Jahre nach Südeuropa, von wo sie sich nordwärts ausbreitete. Mittlerweile ist sie in der Normandie angelangt. Dies gelingt ihr dadurch, dass sie, obwohl tropischen Ursprungs, eine Winterdiapause einlegen kann.
Nun ist die Tigermücke zweifellos zumindest im Mittelmeerraum potentiell ein sehr gefährlicher Vektor von Viruserkrankungen. Unter anderem ist sie Überträger des Gelbfieber- und Dengue-Virus, die beide schon früher in Europa endemisch waren aber eine Gefährdung der Biodiversität kann ich nicht erkennen.
2. Trogoderma granarium
Der Khaprakäfer (Familie Speckkäfer, Dermestidae) ist ein Vorratsschädling besonders an lagerndem Getreide und an Getreideprodukten. Getreidekörner werden von den Larven bis auf die Schale ausgefressen, wodurch große Verluste entstehen können. Trotzdem ist mir nicht klar, weshalb nun ausgerechnet der Khaprakäfer in die Liste der 100 Top-Invasoren aufgenommen wurde. Abgesehen davon, dass von dieser Art keine Bedrohung der Biodiversität ausgeht, wird sie in ihrer Bedeutung als Vorratsschädling von anderen Insektenarten (Reiskäfer Sitophilus oryzae, Getreidekapuziner Rhizopertha dominica, Getreidemotte Sitotroga cerealella u.a.) weltweit deutlich übertroffen. Als weiterer Gesichtspunkt für die Schädlichkeit des Khaprakäfers wird der indirekte Effekt auf die Umwelt genannt, weil man den Käfer ja bekämpfen und dafür umweltschädliche Begasungsmittel verwenden muss. Dies ist freilich ein recht merkwürdiges Argument und betrifft fast alle Schädlinge, die mit Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden bekämpft werden, denn ein Großteil der Mittel hat Nebenwirkungen auf die Umwelt. Speziell beim Khaprakäfer ist das Gas Monobrommetan (Methylbromid) gemeint, das eine ozonschädigende Wirkung hat. Deswegen allerdings ist seine Anwendung gemäß Montreal-Abkommen verboten oder stark eingeschränkt. Selbst wenn ein Restanwendungsgebiet im Vorratsschutz für Sonderfälle bestehen bliebe, so würden die hierfür benötigten Mengen dieses Gases nur einen Bruchteil dessen betragen, was durch Verfeuerung, Wald- und Steppenbrände, Halophyten (Salz- und Mangrovepflanzen werden das mit Salzwasser aufgenommene Chlor, Brom und Jod durch Metabolisierung zu Methylhalogeniden wieder los), Ozeane und aus Böden durch abiotische Prozesse beim normalen Abbau organischer Substanz emittiert wird. Ohnedies steht mit dem nicht luftschädigenden Phosphorwasserstoff schon seit vielen Jahrzehnten ein Gas zur Verfügung, mit dem alle Vorratsschädlinge in Lägern und Silos bekämpft werden können.
Da nun die ISSG nicht nur Arten auflistet, die die Biodiversität betreffen sondern auch Hygiene- und Agrarschädlinge, ist man erneut überrascht, dass man weder bei den 100 schlimmsten Organismen noch in der kompletten Insektenliste Arten findet, die einem als Paradebeispiele weltweiter Verschleppung vertraut sind. Ich vermisse z.B. die Pharaoameise, die vor ein paar Monaten in einer im WDR (ich glaube es war die Wissenschaftssendung Q 21) vorgestellten Hit-Liste auf Platz 2 der schlimmsten Invasoren landete, direkt hinter dem HIV-Virus (m. E. etwas zuviel der zweifelhaften Ehre). Vergeblich suchte ich auch nach einer Schabenart (etwa Blattella germanica) oder nach der Stubenfliege, die es in ihrer weltweiten Verbreitung mit allen andern locker aufnehmen können und beträchtliche Relevanz für Hygiene etc. haben. Aber vielleicht sind diese Insekten schon so selbstverständlich, dass sie gar nicht mehr als Invasoren wahrgenommen werden.
Ohnedies spielt der historische Zeitfaktor eine Rolle. Als Neozoen bzw. Neophyten oder allgemein Neobionten werden nämlich bei uns nur diejenigen Arten bezeichnet, die nach dem Jahr 1492 hier ansässig wurden. Das hängt wohl mit der Entdeckung Amerikas (bzw. zunächst der Antillen) durch Kolumbus zusammen. Als ob nicht schon vorher einiges zu uns verschleppt worden wäre! Es ist klar, dass irgendwann ein Schnitt gemacht werden muss, denn es hätte natürlich wenig Sinn, Klatschmohn, Kornblume oder Feldhamster als Neobionten zu bezeichnen, nur weil sie ursprünglich nicht in Mitteleuropa heimisch waren.
Um nochmal auf die Argentinische Ameise zurückzukommen: soweit mir aus der Literatur bekannt ist und wie ich es immer wieder beobachtet habe, hat die Art an der Mittelmeerküste eine starke Affinität zu urbanen, zersiedelten und gestörten Habitaten. Ich selbst kann mich nicht erinnern, die Art in weitgehend intakter Natur gesehen zu haben. Sicher kommt aber auch das manchmal vor. Entsprechend der ausgeprägten Bindung von Linepithema an gestörte Habitate wäre die Art nach wörtlicher Auslegung der ISSG-Definition, wonach eine Ausbreitung in intakte Habitate das Kriterium ist, im Mittelmeerraum überhaupt kein oder nur ein lokaler Invasor, da Naturhabitate wenig betroffen sind. Irgendwie absurd! Und in ca. 500 Jahren (solange ist das ja auch mit dem Kolumbus bis heute her) erhalten die ursprünglichen Argentinier die Erlaubnis archaeobiontische Europäer zu sein.
Kurzum, ich blicke bei den Kriterien nicht durch, außer wenn ich mich an die allgemeinere amerikanische Definition halte, die praktisch auf alles, was irgendwie lästig oder schädlich ist, angewendet werden kann. Vielleicht habe ich auch etwas übersehen oder missverstanden. Jedenfalls hoffe ich auf Hilfe und Aufklärung.