Was sind eigentlich invasive Arten?

Was sonst nirgends rein passt...

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Gerhard Heller
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Was sind eigentlich invasive Arten?

Beitrag von Gerhard Heller »

Nicht nur in diesem Forum ist häufig von invasiven (Ameisen)arten die Rede. Auf den ersten Blick erscheint alles klar. Bei den Ameisen ist die Argentinische Ameise (Linepithema humile) ein prominentes und in Europa für die Mittelmeerküsten relevantes Beispiel. Sie wird in der Global Invasive Species Database der Invasive Species Specialist Group (ISSG) zu den 100 schlimmsten Invasoren gezählt.

Die genannte Datenbank umfasst invasive Arten aller Gruppen (Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere), die die Biodiversität gefährden. Als invasiv werden Organismen definiert, die sich nach Verschleppung (absichtlich oder unabsichtlich) in der neuen Umgebung etablieren und dann in intakte native Ökosysteme einbrechen. So ähnlich steht es auch in der Convention on Biological Diversity (CBD): Eine “invasive fremde Art” meint eine fremde Art, deren Einschleppung und/oder Ausbreitung die Biodiversität bedroht.

Bezogen auf Ameisen findet sich eine entsprechende Definition z.B. bei STEINER et. al. in einer Publikation über die in den USA invasiv auftretende Art Tetramorium tsushimae. Demnach sind Arten invasiv, wenn sie in natürliche Lebensräume eindringen und die dortigen Gesellschaften von Ameisen und anderen Organismen direkt oder indirekt schädigen.

Diese Definitionen betreffen also eindeutig den Einfluss auf die Biodiversität in natürlichen Lebensräumen.

Eine umfassendere Definition findet sich dagegen bei dem amerikanischen National Invasive Species Council, wonach eine “invasive Art” definiert ist als eine Spezies, die

1. in einem Ökosystem nicht-nativ (oder fremd) ist und
2. deren Verschleppung ökonomische oder Umweltschäden oder Schäden an der menschlichen Gesundheit verursacht oder zu deren Verursachung geeignet ist.

Hier ist also nicht direkt von Biodiversität die Rede, wohl aber kann man dies in Zusammenhang mit den Umweltschäden so sehen. Zusätzlich kommen der ökonomische Schaden und die menschliche Gesundheit ins Spiel, was bedeutet, dass darunter auch der Riesenanteil von Pflanzen-, Material- und Gesundheitsschädlinge fällt, wo Biodiversität keine große Rolle spielt.

Schaut man sich nun mal in der Datenbank der ISSG um, deren Definition von Invasoren ja die Bedrohung der Biodiversität betont, so muss man (ich beschränke mich nur auf die Insekten) erstaunt feststellen, dass hier Arten dabei sind, die der eigenen Definition widersprechen. Zwei Beispiele aus der Liste der hundert “invasivsten” Organismen:

1. Aedes albopictus
Die Tigermücke ist ursprünglich in Südostasien beheimatet. Die Art legt ihre Eier in Kleinstgewässer ab, so z.B. auch in Pfützen, die nach Regen in nicht abgedeckten Autoreifen zurück bleiben. Gegen Austrocknung sind die Eier resistent. Mit dem internationalen Gebrauchtreifenhandel gelangte die Tigermücke in die USA und von dort Anfang der 90er Jahre nach Südeuropa, von wo sie sich nordwärts ausbreitete. Mittlerweile ist sie in der Normandie angelangt. Dies gelingt ihr dadurch, dass sie, obwohl tropischen Ursprungs, eine Winterdiapause einlegen kann.
Nun ist die Tigermücke zweifellos zumindest im Mittelmeerraum potentiell ein sehr gefährlicher Vektor von Viruserkrankungen. Unter anderem ist sie Überträger des Gelbfieber- und Dengue-Virus, die beide schon früher in Europa endemisch waren – aber eine Gefährdung der Biodiversität kann ich nicht erkennen.

2. Trogoderma granarium
Der Khaprakäfer (Familie Speckkäfer, Dermestidae) ist ein Vorratsschädling besonders an lagerndem Getreide und an Getreideprodukten. Getreidekörner werden von den Larven bis auf die Schale ausgefressen, wodurch große Verluste entstehen können. Trotzdem ist mir nicht klar, weshalb nun ausgerechnet der Khaprakäfer in die Liste der 100 Top-Invasoren aufgenommen wurde. Abgesehen davon, dass von dieser Art keine Bedrohung der Biodiversität ausgeht, wird sie in ihrer Bedeutung als Vorratsschädling von anderen Insektenarten (Reiskäfer – Sitophilus oryzae, Getreidekapuziner – Rhizopertha dominica, Getreidemotte – Sitotroga cerealella u.a.) weltweit deutlich übertroffen. Als weiterer Gesichtspunkt für die Schädlichkeit des Khaprakäfers wird der indirekte Effekt auf die Umwelt genannt, weil man den Käfer ja bekämpfen und dafür umweltschädliche Begasungsmittel verwenden muss. Dies ist freilich ein recht merkwürdiges Argument und betrifft fast alle Schädlinge, die mit Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden bekämpft werden, denn ein Großteil der Mittel hat Nebenwirkungen auf die Umwelt. Speziell beim Khaprakäfer ist das Gas Monobrommetan (Methylbromid) gemeint, das eine ozonschädigende Wirkung hat. Deswegen allerdings ist seine Anwendung gemäß Montreal-Abkommen verboten oder stark eingeschränkt. Selbst wenn ein Restanwendungsgebiet im Vorratsschutz für Sonderfälle bestehen bliebe, so würden die hierfür benötigten Mengen dieses Gases nur einen Bruchteil dessen betragen, was durch Verfeuerung, Wald- und Steppenbrände, Halophyten (Salz- und Mangrovepflanzen werden das mit Salzwasser aufgenommene Chlor, Brom und Jod durch Metabolisierung zu Methylhalogeniden wieder los), Ozeane und aus Böden durch abiotische Prozesse beim normalen Abbau organischer Substanz emittiert wird. Ohnedies steht mit dem nicht luftschädigenden Phosphorwasserstoff schon seit vielen Jahrzehnten ein Gas zur Verfügung, mit dem alle Vorratsschädlinge in Lägern und Silos bekämpft werden können.

Da nun die ISSG nicht nur Arten auflistet, die die Biodiversität betreffen sondern auch Hygiene- und Agrarschädlinge, ist man erneut überrascht, dass man weder bei den 100 schlimmsten Organismen noch in der kompletten Insektenliste Arten findet, die einem als Paradebeispiele weltweiter Verschleppung vertraut sind. Ich vermisse z.B. die Pharaoameise, die vor ein paar Monaten in einer im WDR (ich glaube es war die Wissenschaftssendung “Q 21”) vorgestellten “Hit-Liste” auf Platz 2 der schlimmsten Invasoren landete, direkt hinter dem HIV-Virus (m. E. etwas zuviel der zweifelhaften Ehre). Vergeblich suchte ich auch nach einer Schabenart (etwa Blattella germanica) oder nach der Stubenfliege, die es in ihrer weltweiten Verbreitung mit allen andern locker aufnehmen können und beträchtliche Relevanz für Hygiene etc. haben. Aber vielleicht sind diese Insekten schon so selbstverständlich, dass sie gar nicht mehr als Invasoren wahrgenommen werden.

Ohnedies spielt der historische Zeitfaktor eine Rolle. Als Neozoen bzw. Neophyten oder allgemein Neobionten werden nämlich bei uns nur diejenigen Arten bezeichnet, die nach dem Jahr 1492 hier ansässig wurden. Das hängt wohl mit der Entdeckung Amerikas (bzw. zunächst der Antillen) durch Kolumbus zusammen. Als ob nicht schon vorher einiges zu uns verschleppt worden wäre! Es ist klar, dass irgendwann ein Schnitt gemacht werden muss, denn es hätte natürlich wenig Sinn, Klatschmohn, Kornblume oder Feldhamster als Neobionten zu bezeichnen, nur weil sie ursprünglich nicht in Mitteleuropa heimisch waren.

Um nochmal auf die Argentinische Ameise zurückzukommen: soweit mir aus der Literatur bekannt ist und wie ich es immer wieder beobachtet habe, hat die Art an der Mittelmeerküste eine starke Affinität zu urbanen, zersiedelten und gestörten Habitaten. Ich selbst kann mich nicht erinnern, die Art in weitgehend intakter Natur gesehen zu haben. Sicher kommt aber auch das manchmal vor. Entsprechend der ausgeprägten Bindung von Linepithema an gestörte Habitate wäre die Art nach wörtlicher Auslegung der ISSG-Definition, wonach eine Ausbreitung in intakte Habitate das Kriterium ist, im Mittelmeerraum überhaupt kein oder nur ein lokaler Invasor, da Naturhabitate wenig betroffen sind. Irgendwie absurd! Und in ca. 500 Jahren (solange ist das ja auch mit dem Kolumbus bis heute her) erhalten die ursprünglichen Argentinier die Erlaubnis archaeobiontische Europäer zu sein.

Kurzum, ich blicke bei den Kriterien nicht durch, außer wenn ich mich an die allgemeinere amerikanische Definition halte, die praktisch auf alles, was irgendwie lästig oder schädlich ist, angewendet werden kann. Vielleicht habe ich auch etwas übersehen oder missverstanden. Jedenfalls hoffe ich auf Hilfe und Aufklärung.
Michael Schön
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Agentinische Ameise in Spanien ! Gibt es Neues ?

Beitrag von Michael Schön »

Hallo Hr. Heller nun ich wollte mich in diesem Jahr direkt vor Ort an der Südspanischen Küste über die Ausmaße diese invasiven Art schlau machen .
Leider war in der Zeit nicht ein Linepithema humile Nest in der Region zwischen Malaga und Nerja aufzufinden , obwohl immer von einer grossen Superkolonie ( bzw. nicht verfeindeten zusammenhängenden Nestverbänden! ) gesprochen und durch die Presse berichtet wurde.
Im Landesinneren von Spanien ist die Art nicht an zutreffen , hier herscht sofern ich das beurteilen kann , noch eine intakte heimische Natur ( zu mindestens was Ameisen an geht ).
Auffällig waren allerdings sehr grosse Tapinoma vermutlich Tapinoma nigerrimum Kolonien die immer mehrere Königinnen beherbergten , diese Kolonien behaupteten sich gegenüber allen anderen heimischen Arten.
Nun meine Frage nach den letzten Berichten, die ja auch schon etwas älter sind gibt es über die Invasion von Linepithema humile neuere Forschungsergebnisse oder wurde dies Thema überhaupt weiter verfolgt ?
Mir persönlich erscheint die Berichterstattung zum Stand der Invasion jedenfalls im Moment nicht zutreffend ,man weiss ja auch wie die Presse dazu neigt etwas zu übertreiben.
Es mag sein das die Art an gewissen Orten noch anzutreffen ist, aber wo kann ich vielleicht im nächsten Urlaub fündig werden ?
Ich möchte damit nicht behaupten , das die Art sich nicht vor Ort erfolgreich angesiedelt hat , allerdings davon zu sprechen das sich die gesamte Küste der Iberische Halbinsel in den Mandibeln von Linepithema humile befindet wage ich persönlich zu bezweifeln.
In der Küstenregion wurden ausser Tapinoma auch Pheidole, Lasius, Cataglyphis sowie Tetramorium angetroffen

Mit freundlichen Grüßen

Michael Schön
Buschinger
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Beitrag von Buschinger »

Zufällig gibt’s im amerikanischen Forum einen passenden thread (ein „collinong“ hat gute Fotos von Linepithema gepostet und um Identifikation gebeten):
http://p211.ezboard.com/fantfarmfrm7.sh ... 1197.topic

Eine Antwort:
collinong: There are so many queens in these Argentine ants. They have supercolonies like one colony covering the whole Europe (See p211.ezboard.com/fantfarm...=406.topic ...)
(es gibt so viele Königinnen bei diesen Argentinischen Ameisen. Sie haben Superkolonien, so wie die eine, die ganz Europa überzieht).

Vielleicht ist das Linepithema napoleon?

Nun ja, je nach Atlas oder Karte ist Europa ja auch arg klein :) . Aber Michael Schön: Warum nach Spanien reisen? Kassel liegt doch auch in Europa!

Lol, A. Buschinger
Michael Schön
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Beitrag von Michael Schön »

Hallo Hr. Prof Buschinger :lol: :lol: danke für den netten Beitrag zum schmunzeln .
Die Bilder sind sehr schön allerdings hatte ich auch einen einheimischen " Fachkundigen " dabei , weiss den Ihr spanischer Kollege neues über den Stand vor Ort .
Nun auf den Kanaren konnte ich Linepithema an einen Hafen beobachten wie sie sich über Fischreste her machte . Aber auch dort konnte man von einer Superkolonie nicht reden :wink:

Grüße Michael Schön
Buschinger
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Beitrag von Buschinger »

Lieber Herr Schön,

Auch ich hatte ja im Herbst 2003 an der spanischen Küste, Prov. Gerona, Schwierigkeiten, Linepithema zu finden und fiel selbst auf Tapinoma nigerrimum herein. Und in naturnahen Habitaten waren auch die dort heimischen Arten noch zu finden.

Ich hatte damals im „Ameisenforum“ berichtet, und der thread existiert sogar noch:
Edit 17.09.2010: Der Thread existiert nicht mehr.
http://www.ameisenforum.info/thread.php ... r=0&page=1

Ich kopiere hier mal einen Teil meines Beitrags ein:

Ja, Irren ist menschlich, und manchmal trifft's auch den Fachmann: Was ich oben in dem Beitrag "Linepithema am Mittelmeer" beschrieben hatte, die ekligen Ameisen am Strand bei Llansa, waren gar keine Linepithema, sondern schlichte Tapinoma nigerrimum!

Nach der hochgradig polydomen Nistweise, den langen Straßen und der Vorliebe für Müll und natürlich auch wegen Größe und Färbung der Tiere war ich überzeugt, dass es sich um die Argentinische Ameise handeln müsse. Nur der Geruch nach Tapinoma beim Aufsaugen hat mich etwas stutzig gemacht. Aber ich war irgendwie "fixiert" darauf, hier Linepithema zu sehen.

Zu Hause, unter dem Präpariermikroskop, bestätigten sich meine Zweifel: Die Tiere hatten eindeutig die Merkmale von Tapinoma. Aber unsere beiden einheimischen Arten, T. erraticum und T. ambiguum machen doch keine Superkolonien oder lange Straßen, es sind eher seltene, scheue Bewohner von Trockenrasen-Standorten?!
Sicherheitshalber ließ ich mir von meinem Freund X. Espadaler in Barcelona ein paar "echte" Linepithema schicken (er war am Sammeln des Materials für die Geschichte mit der 5760 km langen Superkolonie beteiligt), und sandte ihm einige von meinen vermeintlichen Linepithema.
Damit war der Fall klar: Er schrieb mir nun, dass meine Tiere zu Tapinoma nigerrimum gehören, und dass deren Lebensweise ganz dem entspricht, was oben beschrieben wurde. Es gibt außer den biologischen auch deutliche morphologische Unterschiede zu unseren einheimischen Tapinoma -Arten in Deutschland.

Logische Folgerung für die Zukunft: Erst gucken, dann gackern! (Dass ich das auch einhalten werde, kann ich nicht garantieren).
Lernen kann man aber auch noch etwas aus diesem Irrtum: Hände weg von Tapinoma nigerrimum!

Sie wird ja im Handel angepriesen, aus Spanien importiert. Mit den zunehmend wärmeren Sommern könnte sie vielleicht auch bei uns sich ansiedeln und ausbreiten, wenn sie hier freikommen sollte!

Xavier hat mir übrigens bestätigt, dass es ein paar naturnahe Bereiche entlang der spanischen Mittelmeerküste gibt, in denen Linepithema noch nicht die dort heimische Ameisenfauna ausgerottet hat, aber er hat auch tatsächlich ganz natürliche Biotope gesehen, in denen es NUR NOCH diese Art gibt!


Bisher habe ich von Xavier Espadaler noch nichts weiter gehört, muss ihn deswegen mal wieder anmailen. Aber auf jeden Fall umfasst diese "Superkolonie" keinen durchgehend besiedelten Küstenstreifen. Dass es sich um eine (bzw. zwei) Superkolonie handeln soll, schloss man daraus, dass die Tiere von verschiedenen Fundorten untereinander nicht aggressiv waren (mit Ausnahme einiger Orte, die einer zweiten Superkolonie zugeschrieben wurden).

Auf Teneriffa habe ich dieses Jahr (2005) allerdings auch eindeutig bestimmte L. humile gesammelt.

A. Buschinger

PS: Im amerikanischen Forum habe ich, nachdem sonst niemand an der falschen Angabe Anstoß genommen hatte, mal gepostet, dass Europa sogar ein wenig größer ist als die USA, und dass eine Ameisenart, die z.B. die Küste von Florida besetzen würde, deswegen noch lange nicht über die gesamten USA einschließlich Alaska verbreitet wäre :)
Zuletzt geändert von Buschinger am 18. Sep. 2010, 11:59, insgesamt 1-mal geändert.
Michael Schön
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Danke , Linkhinweise

Beitrag von Michael Schön »

Danke Hr. Buschinger für die schnelle Antwort , die in der Pressemitteilung angebene graphische Darstellung war also meiner Vermutung und durch ihre Bestätigung dann fehlerhaft ( man weiss halt was man von einigen Angaben in der Presse zu halten hat ! ) .
Übrigens verweisse ich auf eine sehr schöne Seite myrmecos.net aus den USA mit schönen
Bilder dieser Art
http://www.myrmecos.net/ants/linepithema.html auch noch sehr interessant ist die Seite Global Invasive Species Database hier der Link http://www.invasivespecies.net/database ... &fr=1&sts=


Grüße Michael Schön
Gerhard Heller
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Beitrag von Gerhard Heller »

Hallo Herr Schön,

Herr Buschinger hatte im ASA-Heft 2/03 auf den Schmarren mit der „Ameisen-Superkolonie, die Europa beherrscht“ hingewiesen, insbesondere auch auf die grotesken Blüten, die basierend auf der Publikation von GIRAUD et. al. (2002) dann in der Presse entstanden sind.

Ich kann hierzu nur einige eigene Beobachtungen beitragen, die ich während Urlaubsaufenthalten im Mittelmeerraum und auf Teneriffa gemacht habe. Ich kann nichts über Tendenzen sagen, alles sind nur momentane Eindrücke.

Zur Ausbreitungstendenz in Portugal, wo die Art seit ca. 100 Jahren existiert, schreiben WAY et. al., dass sich seit 40 Jahren nichts mehr wesentlich geändert hat (Distribution and dynamics of the Argentine ant Linepithema (Iridomyrmex) humile (Mayr) in relation to vegetation, soil conditions, topography and native competitor ants in Portugal. Insectes Sociaux, 1997).

Zu einigen meiner Erfahrungen mit L.h.:

Ligurische Küste:
Zwischen Imperia und Ventimiglia liegt die Blumenriviera (Riviera dei Fiori), nicht weil es da so schön blüht, sondern weil zahllose Gewächshäuser zur Blumenzucht die ohnedies völlig zersiedelte Küstenlandschaft bedecken (zutreffender wäre Riviera dei Serre = Gewächshausriviera)
L.h. ist hier oft flächendeckend vorhanden, teilweise wirklich schlimm! Im schönen Hinterland, nur wenige Kilometer von der Küste entfernt wird man sie dagegen vergebens suchen.

San Gimignano (Toscana):
Soweit ich mich erinnere, der einzige Ort, wo ich L. h. weitab vom Meer gefunden habe. Es war nur eine Kolonie. Als ich nach 15 Jahren nochmal dort war, befand sich die Kolonie immer noch an der gleichen Stelle.

La Croix Valmer (Südfrankreich, Golfe de St. Tropez):
Ich war hier im Abstand von 5 Jahren zweimal in der gleichen Ferienanlage. Beim ersten Urlaub waren viele L.h.-Kolonien zu sehen. Trotzdem waren viele einheimische Arten vorhanden. Beim zweiten Aufenthalt waren die L.h. bis auf eine Reliktkolonie an einem Strandrestaurant verschwunden. Vielleicht hatte man eine Bekämpfung durchgeführt – oder hat sie ein kalter Winter dahingerafft?

Llansa (nördliche Costa Brava):
Unser Ferienhäuschen lag in einem relativ neuen Ortsteil oberhalb einer Bucht. Der ganze Bezirk war dominiert von L.h. Um unser Haus herum kamen nur wenige native Arten vor (Cataglyphis cursor, Tetramorium semilaeve, Plagiolepis, Solenopsis), die vielleicht, weil sie keine Konkurrenten waren, von L.h. nicht verdrängt wurden. Blieben Lebensmittelreste im Mülleimer in der Küche, so hatte dies wahre Invasionen zur Folge. Aufgrund dieser Erfahrung stellte ich abends nach einem Muschelessen den Müllsack mit Muschelschalen in den Hof, weil ich zu faul war, noch zur nächsten Sammelmülltonne zu laufen. Es war unglaublich was sich am nächsten Morgen abspielte. Ströme von L.h. – nicht nur Arbeiterinnen, sondern auch zahlreiche entflügelte und wohl fertile Weibchen – ergossen sich in den Müllsack, es wimmelte nur so darin. Man kann sich somit lebhaft vorstellen, dass Mülltransporte erheblich zur Weiterverbreitung beitragen.
Auf dem Weg zum Strand folgte auf einer Strecke von nur wenigen Metern ein Faunenwechsel, der mich sehr beeindruckte. Bis zur Küstenstraße, die überquert werden musste, war alles L.h.-Gebiet. Jenseits der Küstenstraße hatte sich ebenfalls eine Teilkolonie an der Böschung angesiedelt, hier aber waren bereits u.a. Messor barbarus und Pheidole pallidula vertreten. Es folgte ein unbefestigter Weg und danach ein intaktes Naturhabitat mit einer reichen nativen Ameisenfauna. Das Vorkommen von L.h. war wie abgeschnitten. Dies zeigte eindrucksvoll die enge Bindung von L.h. an gestörte, stark anthropogen beeinflusste Habitate, und ich denke, dass dies auch weitgehend typisch ist für die Mittelmeerküste.

Teneriffa
In keiner der größeren Inselstädte habe ich eine L.h.-Dominanz wie in vergleichbaren Habitaten am Mittelmeer gesehen. Selbst im schwerst zersiedelten und mit Bausünden aller Art gespickten Raum Los Christianos/Playa de las Americas, der den L.h.-Ansprüchen nun wirklich entgegen kommen müsste, ist die Art eine ganz „normale Durchschnittsameise“ unter vielen anderen Exoten und ein paar nativen Arten. Ich habe sie nur an einem relativ kleinen Areal an der Strandpromenade bei Los Christianos gefunden. Zweimal habe ich L.h. in natürlichen bzw. naturnahen Lebensräumen gesehen, in beiden Fällen anscheinend ohne Bedeutung für die einheimischen Arten (Messor minor, Lasius grandis, Plagiolepis schmitzii).
Selbstverständlich könnten die Verhältnisse in anderen Regionen Teneriffas ganz anders sein (z.B. im Nordwesten, wo ich nicht war). Auf der Nachbarinsel Hierro z.B. dominiert L.h. in natürlichen Kiefernwäldern bis in eine Höhe von fast 1000 m (X. ESPADALER: The Ants of El Hierro).

Übrigens, falls Sie gelegentlich mal in München sind: Schauen Sie mal im Botanischen Garten nach, ob L.h. noch vorkommt. Ich habe sie dort – es ist allerdings schon wirklich sehr viele Jahre her – nicht nur in den Gewächshäusern, sondern auch im Freien gesehen.


Viele Grüße
G. Heller
Gerhard Heller
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Beitrag von Gerhard Heller »

Hallo Herr Schön,

noch ein kurzer Nachtrag: in Ihrem Beitrag vom 4.12. hatten Sie den Linkhinweis auf die Global Database... eingefügt. Das ist genau die Datenbank, die ich eingangs angesprochen habe. Unter L.h. ist natürlich der Blödsinn mit der Superkolonie zu lesen ("It has formed the world's largest colony in South Europe"). Da nun die Population z.B. von El Hierro im Aggressionstest sich friedlich zum europäischen Hauptstamm verhielt (X. Espadaler), ist das besetzte Territorium somit noch beträchtlich zu erweitern. Vielleicht gehören ja auch noch die nordafrikanischen Sippenmitglieder dazu. Austausch von Arbeiterinnen, Königinnen und Brut innerhalb der Superkolonie findet per Flugzeug statt, am bestem zum Vorzugstarif mit Argentinian Airlines.

Gruß
G. Heller
Michael Schön
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Lancarote Kanarische Inseln + Auswirkung auf die span. Fauna

Beitrag von Michael Schön »

Danke Hr. Gerhard Heller für ihre Antworten , ihre Informationen und Beobachtungen sind mit meinen auf den Kanarischen Inseln identisch .
Das Auftreten von L.h. war auch hier nur in den Küstenbereichen möglich , die meistens durch Hotelkomplexe zertörte Naturhabitate boten der Art wieder Raum sich auszubreiten, allerdings ohne direkte Einwirkung auf die dort lebenden einheimischen Arten , so fern ich das beurteilen konnte .
Unser Hotelbereich war zwar dominiert von L.h. allerdings tumelten sich auch Pheidole und Tapinoma sowie Tetramorium usw. in der Hotelanlage.
Auch hier wurden bevorzugt Müllabfälle meistens Fischreste aufgesucht , die Nestgenossinen wurden sehr schnell zu Futterstelle rekrutiert .

Ich habe einige Bilder der Art in meinen leider doch sehr unsortierten Bilderarchiven gefunden ,hier kann man sehen wie sich L.h. über einen von mir ausgelegten Fischköder hermachten .

Sehr interessant finde ich ihre Angaben das es keinerlei Feindschaftliche Verhältnisse von den Tieren aus Spanien zu denen aus der Nordafrikanischen Region gab , hat man die Tiere aus Spanien den schon mal mit denen aus den heimischen Regionen zusammen gesetzt ?
Sofern ich recht informiert bin standen die 2 " Superkolonien " ( deren Arbeiterinnen beim künstlichen zusammenführen ) aus Spanien wohl feindlich gegegenüber .
Und noch etwas wäre sehr interessant welche Auswirkung von L.h. hat es bisher auf die speziel spanische Fauna gegeben , ich meine hiermit nicht nur das eventuelle Verdrängen von einheimischen Ameisenarten ( was ja anscheindend nicht überall der Fall ist ? ), sondern auf die Tier- und Pflanzenwelt in der Region.


Danke schon jetzt für Ihre Antwort .

Mit freundlichen Grüßen aus Hessen
Michael Schön
Dateianhänge
Agentinische Ameise.JPG
Dies Bild ist etwas schärfer , da die Ameisen sehr aktiv und fling sind , war es für mich nicht leicht einige bessere Aufnahmen zu machen .
Dies Bild ist etwas schärfer , da die Ameisen sehr aktiv und fling sind , war es für mich nicht leicht einige bessere Aufnahmen zu machen .
Hier das von mir ausgelegte Fischstückchen .
Hier das von mir ausgelegte Fischstückchen .
Gerhard Heller
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Beitrag von Gerhard Heller »

Hallo Herr Schön,

ich hatte nur geschrieben, dass sich die L.h. von der Kanareninsel El Hierro mit denen von Spanien vetrugen. Genauer: sie vetrugen sich mit denen der Hauptpopulation, nicht aber mit Arbeiterinnen der kleineren katalanischen Population (X. Espadaler: The ants of El Hierro). Das mit der/den nordafrikanischen Population(en??) ist lediglich meine Vermutung, dass die vielleicht auch zur italienisch-französisch-spanisch-portugisischen Hauptpopulation gehören. Bezüglich der Verteilung der beiden feindlichen Populationen an der Mittelmeer- und iberischen Atlantikküste möchte ich nochmals auf den Artikel von Herrn Buschinger in ASA 2/03 verweisen.
Zu der Frage nach Auswirkungen von L.h. auf Flora und sonstige Fauna Spaniens ist mir nichts bekannt (ich bin nun auch absolut kein L.h.-Experte). Ich gehe aber davon aus, dass auch hierzu Untersuchungen gemacht wurden.

Viele Grüße
G. Heller
Buschinger
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"Was sind invasive Arten?"

Beitrag von Buschinger »

Gehen wir mal zurück zu der Eingangsfrage von Herrn Heller: „Was sind eigentlich invasive Arten?“
Offensichtlich verstehen verschiedene Fachleute wie auch Laien Unterschiedliches unter diesem Begriff. Welche Möglichkeiten kennt man?

– Zum einen Arten, die in eine neue Umgebung gebracht sich im Freiland ansiedeln, stark ausbreiten, und manchmal so überhand nehmen, dass zuvor dort heimische Arten verdrängt, eventuell sogar ausgerottet werden. Die Aga-Kröte in Australien ist ein schlagendes Beispiel. Absichtlich eingeführt um Schädlinge zu bekämpfen vernichtet sie jetzt einen Großteil der dort heimischen Schlangen, indem sie schlicht die Jungtiere verspeist (neben Kleinsäugern, Vögeln usw.). Sie wäre also nach der von G. Heller im ersten Beitrag genannten Definition zweifellos eine die Biodiversität negativ beeinflussende Art.

- Zum zweiten kennen wir Arten, die sich im neuen Lebensraum ansiedeln, stark ausbreiten, und massive Schäden anrichten, wenngleich nicht wesentlich in natürlichen Ökosystemen: Entweder befallen sie land-/forstwirtschaftliche Nutzflächen bzw. landwirtschaftliche Produkte (Vorratsschädlinge), oder sie besiedeln menschliche Behausungen und werden dort z.B. zu Hygieneschädlingen, Holzschädlingen usw.. Sie werden traditionell eben „Schädlinge“ oder Schadorganismen genannt, oder mit der englischen Bezeichnung „pest“ belegt. Ein charakteristisches Beispiel unter den Ameisen ist die Pharaoameise.

- Schließlich gibt es Arten, die sich zwar dauerhaft ansiedeln, deren Anwesenheit sich aber nicht auffällig negativ bemerkbar macht. Auch sie gehören zu den „Neobiota“, aber eben weder zu den „invasiven Arten“ noch zu den Schädlingen. Allerdings könnten zusammen mit solchen harmlos erscheinenden Arten eingeschleppte Parasiten und Krankheitserreger (der Ameisen) durchaus „invasiven“ Charakter entwickeln.


Das Kernproblem für den häufig unterschiedlichen und damit missverständlichen Gebrauch der Begriffe scheint mir darin zu liegen, dass es für technische oder wissenschaftliche Termini keine einvernehmliche Regelung gibt (so etwa wie die Internationalen Nomenklaturregeln). Einer erfindet den Terminus „invasive species“ und versteht darunter eben solche, die in Naturräume vordringen und dort Schaden anrichten. Der nächste greift den Terminus auf, bezeichnet aber (auch) pest-ants damit, die urbane Habitate oder Gebäude besiedeln: Schon haben wir die Verwirrung.
Hinzu kommt ein häufiger Bedeutungswandel von Fachbegriffen.

Ich habe bei meinen Argumenten gegen die Einschleppung ausländischer Ameisen immer versucht zu differenzieren, zwischen Gefährdung natürlicher Habitate bzw. Populationen einerseits und der Entstehung neuer „pest-ants“, Haus- und Hygieneschädlinge, andererseits. Da sind bei uns ja sogar verschiedene Ministerien zuständig: Umwelt- resp. Gesundheitsministerium.

A. Buschinger
Michael Schön
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Beitrag von Michael Schön »

Nochmals bedanke ich mich für die Darlegung des Problems , die ich hoffe zur Aufklärung einiger Missverständnisse von Fehlinformierten beiträgt .

Mit freundlichen Grüßen
Michael Schön
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