sehr alte Ameise von innen betrachtet

Was sonst nirgends rein passt...

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schmidi
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sehr alte Ameise von innen betrachtet

Beitrag von schmidi »

Hallo!

Ich habe hier ein Foto einer in Bernstein eingeschlossenen Formicinae (Formica?). Das Erstaunliche an der 40 Mill. Jahren alten Inkluse ist, dass (warum auch immer?) der Hinterleib der Ameise geöffnet ist.

Jetzt habe ich zwei Fragen an Leute, die sich damit auskennen:
1.) Warum könnte der Hinterleib wohl an der Grenze zum ersten Tergit geöffnet worden sein?
2.) Was ist in der Ameise zu sehen? Sind die Organe auszumachen, oder deutet es darauf hin, dass hier die Hülle einer bereits toten und innnerlich schon verrotteten Ameise in das Harz geraten ist?

Hier ein Bild. Auf Wunsch kann ich auch Detailaufnahmen posten.

Grüße und Danke

Sebastian Schmid
schmidi
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Buschinger
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Ameisen-Ötzi?

Beitrag von Buschinger »

Hallo Schmidi!

Tolle Aufnahme und toller Fund!
Es sieht wirklich so aus, als seien Teile der inneren Organe zu sehen. Das kugelige Gebilde links könnte die Giftblase sein (die ist bei Formicinen manchmal so groß). Für den ebenfalls in Frage kommenden Kropf liegt sie etwas zu weit hinten. Rechts davon, das schlauchartige Gebilde, könnte ein Teil des Darmtrakts sein.
Warum geöffnet? Ich kann mir mehrere Ursachen vorstellen. Vielleicht am wahrscheinlichsten:
Das Tier war zuerst nur in Harz eingeklebt, das oberflächlich austrocknete, so dass ein kleiner Aasfresser (andere Ameise??) an der noch nicht von Harz bedeckten Gaster knabbern konnte? Später könnte das Ganze von einem weiteren Harztropfen dann völlig eingeschlossen worden sein.
Aber vielleicht findet sich noch jemand mit anderen Vorschlägen?
Ich würde das Bild in der ASa unter dem Titel „Der Ameisen-Ötzi“ veröffentlichen!

Viele Grüße und Dank für das Posten,

A. Buschinger
schmidi
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Beitrag von schmidi »

Aha, vielen Dank. Ich hatte auch die Giftblase in Erwägung gezogen, hätte aber nicht gedacht, dass die so groß sein kann.
Wenn Giftblasen also so groß sein können, dann gehe ich davon aus, dass die zweite (im Foto nicht so deutlich zu sehende) Blase weiter links der Magen ist. Auch der Kropf ist dann erahnbahr, allerdings nur im Original.
Könnte es sich bei dem vergrößerten Organ auf dem oberen Bild, das entfernt an eine Blüte oder an Reiskörner erinnert, auch um ein Ganglion handeln?

Zur Frage, wie die Ameise geöffnet wurde, habe ich auch zuerst an den von Ihnen, Herr Buschinger, angeführten Ablauf gedacht. Aber es ist keine Fließschicht zu erkennen, die darauf hindeuten würde, dass ein Teil der Ameise frei lag. Andererseits muss die Ameise schon vor dem Einschluss geöffnet gewesen sein, denn die fehlenden Tergit-Bruchstücke sind nirgends zu finden. Vielleicht handelt es sich um ein mit Harz überflutetes totes Tier, das auf dem Abfallhaufen lag? Ich konnte nun nämlich auch an einer anderen Stelle ein einzelnes Insektenbein und ein Teil des zugehörigen Mittelleibs finden.



Gruß
schmidi
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Buschinger
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Fortsetzung im amerikanischen Forum

Beitrag von Buschinger »

http://p211.ezboard.com/fantfarmfrm7.sh ... 1188.topic
(link geht nicht mehr - 12. Okt. 2008)

Hier gibt es eine interessante Fortsetzung der Geschichte, mit weiteren Bildern von schmidi!

A. Buschinger
Zuletzt geändert von Buschinger am 12. Okt. 2008, 09:16, insgesamt 1-mal geändert.
Buschinger
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Bernstein-Ameise mit sichtbaren inneren Organen

Beitrag von Buschinger »

Hier die Antwort auf meine e-mail-Anfrage bei dem Ameisenforscher Gennady Dlussky in Moskau, der sehr viel über Ameisen-Inklusen in Bernstein gearbeitet und publiziert hat:

Dear Alfred,
I never took participations in forums, so I do not know how to become the participant of your forum. So I answer by usual letter. If you want you can place this letter in the forum site.
Authenticity of specimen presented on photos does not cause doubts beside me. This is really ant in the amber. Amber ants with visible inner organs are very rare. I have seen some thousands inclusions and only two of them with visible inner structure. And they were worse, than Schmid’s specimen.
It is necessary unique coincidence of circumstances for such conservation. First ant gaster must be open (by bird or other predator) shortly before burial in resin. Secondly body fluids should dry before burial. If water are mixed with resin, the cloudy white suspension is formed, which makes an inclusion invisible.
I cannot determine this ant on the submitted photos. For the precise determination I need photo of ant (or alitrunk as a minimum) in profile view and/or photo of the head in full-face view. However I am sure that it is not Cataglyphis. Many ants from Baltic amber have long maxillar palpi. In Cataglyphis 4th palpal joint twice more long than 5th joint, whereas these joints are about equal in ant on the photo. Also this ant has short oval propodeal spiracles (they are very long and narrow in Cataglyphis) and has not psammophore.
With best wishes
Gennady


Soviel ist jedenfalls daraus klar: Die Ameise ist “echt”, keine Fälschung. Und es ist ein außergewöhnlich seltenes Stück: Gennady schreibt, dass er tausende von Bernsteinameisen gesehen habe. Darunter befanden sich nur zwei, bei denen innere Organe sichtbar waren, und beide waren schlechter als das hier von schmidi abgebildete Stück.
Seiner Meinung nach handelt es sich allerdings nicht um eine Cataglyphis, an die mich einige Merkmale erinnert haben. Eine genaue Bestimmung war ihm aber nach den Bildern nicht möglich.
Wir haben noch weitere Spezialisten kontaktiert. Mal sehen, was dabei noch herauskommt!

A. Buschinger
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Kommentar von D. Grimaldi, AMNH, Cambridge

Beitrag von Buschinger »

Ein weiterer Kommentar zu der Bernsteinameise kam heute, von Dave Grimaldi am American Museum of Natural History, Cambridge, Mass..
Er bemerkt, dass eine derartige „natürliche Sektion“ selten ist, jedoch nicht einzigartig. In der Sammlung seien mehrere Stücke dominikanischen Bernsteins, in denen der Darmtrakt durch die klare Kutikula hindurch sichtbar ist. Er nennt auch das Beispiel einer Termite aus der Familie Nasutitermitidae, wo der Bau des Verdauungstraktes ein wichtiges taxonomisches Merkmal ist.

Hello Dr. Buschinger,
I am familiar with your .... work on ants! It is rare to have such a natural "dissection" in amber, but not unique. We have several examples in our collection of Dominican amber where the gut is visible through a clear abdominal wall, revealing the structure of the intestines, etc... In one such case this occurs in a nasute termite, which is actually an important systematic character. Hope this helps,
Kind Regards, Dave Grimaldi


A. Buschinger
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Ameise identifiziert: Formica flori

Beitrag von Buschinger »

Nachdem ich ein paar neue, von Schmidi angefertigte Fotos an G. Dlussky in Moskau gemailt hatte, kam nun die Bestimmung der Ameise, sogar bis zur Art: Formica flori!

Dear Alfred,
Photos that you have send are enaught for determination. The ant is Formica flori Mayr.
With best wishes, Gennady.


Erstaunlich, wie wenig sich die Gattung Formica in der langen Zeit von 40 000 000 Jahren verändert hat.

Was mich wirklich begeistert ist, dass man heute mit ein paar digitalen Bildern, an die richtigen Adressen verschickt, innerhalb weniger Tage eine solche Identifikation bekommen kann! Vor den Internet-Zeiten wäre das ein Unterfangen von Monaten geworden, mit Fotografieren, Abzüge machen lassen, in Briefen versenden, nach Rückfrage evtl. weitere Fotos machen, verschicken, auf Antwort warten…..
Wenn es sich nicht um eine vorrangige und für die eigene Forschung wichtige Angelegenheit gehandelt hat, hat man da oft einfach verzichtet.

A. Buschinger
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