Waldameisen auf dem Apennin

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Gerhard Heller
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Waldameisen auf dem Apennin

Beitrag von Gerhard Heller »

Beim Aufräumen und Sortieren fiel mir ein Sonderdruck aus der Zeitschrift „Waldhygiene“ 7 (1960) S. 189-217 ibn die Hände. Karl Gößwald berichtet über „Eine Reise zu den italienischen Waldameisen“, insbesondere über die Aktivitäten seines Kollegen Prof. Mario Pavan, der den Lehrstuhl für „Entomologia Agraria“ an der Universität Pavia inne hatte. Übrigens: eine Sternaldrüse der Dolichoderinae und Aneuretinae trägt Pavans Namen.
Pavan siedelte seit 1950 in großem Stil Waldameisen im Apennin an, um die Wiederaufforstung vor Schäden z.B. durch den Pinienprozessionsspinner zu schützen.
Gößwald schreibt: „Im ganzen Apennin konnte, trotz jahrelanger intensivster Gelände-Einsichtnahmen, nicht ein einziges Waldameisennest festgestellt werden. Die bereits erwähnten Formen der Wiesenameise Formica nigricans zählen nicht zu den nützlichen Waldameisen.“
Anschließend folgt eine Diskussion, ob Waldameisen jemals auf dem Apennin heimisch waren oder durch die seit Jahrhunderten betriebene Abholzung verschwanden und in den verbliebenen Waldrelikten durch Ameisenpuppensammler etc. ausgerottet wurden.
Weiter: „In richtiger Erkenntnis dieser Zusammenhänge hat Prof. Pavan F. lugubris als Arbeitsameise für die Apenninen ausgewählt. Translokationsversuche zur Einürgerung der bei uns am häufigsten verbreiteten F. polyctena, etwa in niedrigere Bereiche der Apenninen und umgekehrt der F. lugubris und aquilonia an isolierte Standorte unseres Flachlandes wurden vereinbart.“
Pavan setzte F. lugubris aus den Lomardischen Voralpen im gesamten Bereich des Apennin aus, sogar auf Sizilien aus. Geplant waren Ansiedelungen auf Sardinien, das mit Sicherheit immer waldameisenfrei war, z.B. am Monte Bisano, „wo der für die Verpflanzung von Waldameisen (F. lugubris) vorgesehene Standort in Rahmen der umliegenden Landschaft vortrefflich ausgewählt sein dürfte.“
Als Gößwald im Herbst 1959 einige Standorte auf dem Apennin besuchte, waren die damals allerdings erst vor einigen Jahren ausgesetzten Kolonien vital. Mich würde interessieren, was langfristig aus dieser Einbürgerung (sprich Faunenfälschung) geworden ist.
Buschinger
Beiträge: 1487
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Waldameisen-Ansiedlungsversuche

Beitrag von Buschinger »

Lieber Herr Heller,

Erst mal herzlich willkommen, noch ein „Kenner“ an Bord, was uns alle, und mich ganz besonders erfreut!

Man muss das damalige Vorgehen, vor über einem halben Jahrhundert, mit anderen Augen als heute sehen: Damals (und auch in jüngerer Zeit bis vielleicht vor etwa 10-15 Jahren) hat sich niemand Gedanken über Faunenverfälschung gemacht. Auch danach wurden noch sehr oft Organismen (Pflanzen und Tiere) in ferne Länder verbracht, in der Hoffnung, damit z.B. „Gegenspieler“ zu Schädlingen einzubringen, oder, wie in der Forstwirtschaft üblich, Baumarten mit besseren Wuchseigenschaften, höherem Holzertrag usw. zu bekommen. Noch heute werden immer wieder neue Schlupfwespen (im weitesten Sinne) und andere „Nützlinge“ auch bei uns angesiedelt, heute allerdings nach sehr komplizierten Prüfungen und unter strengen Auflagen (vgl. Informationen der Biologischen Bundesanstalt, z.B. http://www.ianus.tu-darmstadt.de/Projekte/ProjekteD.php)

In den 50er und 60er Jahren herrschte bezüglich des „Nutzens“ der Waldameisen eine übertriebene Euphorie. Man glaubte, sie auch in anderen Ländern zum „Forstschutz“ gegen Schadinsekten verbreiten zu können. So wurden z.B. auch Waldameisen nach Kanada geliefert.
Die Ansiedlungen von Formica lugubris im Appennin, im „Samenwald von Sasso Fratino“ (Naturbestand Weißtanne!) haben wir 1963 im Rahmen einer Exkursion des Gößwald-Instituts besichtigt. Da schienen sie noch ganz in Ordnung. Aber danach herrschte Funkstille: Es hat sich wohl niemand mehr darum gekümmert.
Mit amerikanischen und kanadischen Kollegen hatte ich bereits eine umfangreiche Korrespondenz. Die meisten hatten keine Ahnung, dass eine solche Einbürgerung versucht worden war. Und keiner konnte über irgendwelche noch vorhandenen Bestände berichten, auch nicht A. Francoeur in Québec, der beste Kenner der kanadischen Ameisenfauna. Vielleicht haben wir Glück gehabt und die Ansiedlung ist erloschen?

Inzwischen wissen wir zunehmend, dass solche Verfrachtungen äußerst fragwürdig sind. Die Beispiele total fehlgeschlagener Einbürgerungen, die sich zu katastrophalen Schäden an den einheimischen Faunen und Floren entwickelt haben, sind allmählich ins öffentliche Bewusstsein gesickert. Das Bundesnaturschutzgesetz verbietet Einbürgerungsversuche von Fremdorganismen ausdrücklich, mit Ausnahme weniger potenzieller Nützlinge, unter sehr strengen Auflagen, so wie oben bereits gesagt.

Sollte jemand, der Waldameisen bestimmen kann, in den genannten Regionen unterwegs sein, wäre es schön, wenn man auf WA achten könnte und ggf. Proben an Mitglieder der DASW einsenden würde. Es wäre ganz sicher interessant zu wissen, was aus jenen Ansiedlungsversuchen geworden ist.

A. Buschinger
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