Vortrag zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Karl Gößwald

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Buschinger
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Vortrag zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Karl Gößwald

Beitrag von Buschinger »

Vorbemerkung

Prof. Dr. Karl Gößwald, Begründer der Deutschen Ameisenschutzwarte, wäre am 26. Januar 2007 100 Jahre alt geworden. Dass sich in Deutschland eine Reihe von Ameisenforschern an den Universitäten etablieren konnte, ist sicher wesentlich auf ihn und sein Wirken zurück zu führen. In der Wikipedia ist ein ausführlicher Artikel über ihn zu finden: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_G%C3%B6%C3%9Fwald

Am 7. Dezember 2007 fand an der Universität Würzburg eine Vortragsveranstaltung zum Gedenken an den 100. Geburtstag von Herrn Prof. Dr. Karl Gößwald statt. Die Veranstaltung war vom Naturwissenschaftlichen Verein Würzburg organisiert und die Vorträge sollten in den Abhandlungen des Vereins publiziert werden. Dies ist bisher nicht geschehen, und eine diesbezügliche Anfrage an den Vorsitzenden des Vereins im Dezember 2010 wurde nicht beantwortet. So habe ich mich entschlossen, den Vortragstext wenigstens hier einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. – Der Verfasser (25. Juni 2011).

Vortragstext

Zunächst möchte ich mich bei den Herren Prof. KLOFT und Prof. KNEITZ für die Einladung bedanken, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Ich stehe hier - zum einen wie Herr KLOFT und Herr KNEITZ als einer der zahlreichen ehemaligen Kandidaten, „Schüler“, von Prof. GÖßWALD, - zum anderen auch als Vertreter der Deutschen Ameisenschutzwarte, die er 1973 als „Ameisenschutzwarte Würzburg“ begründet hat, und zu der ja auch hier in Bayern ein sehr aktiver und lebendiger Landesverband gehört.

Ohne Prof. GÖßWALD wäre die Deutsche Ameisenschutzwarte nicht entstanden. Ohne sein Jahrzehnte währendes Wirken gäbe es wohl keinen wirksamen Schutz für die Waldameisen in Deutschland. Er hat die Aufmerksamkeit in Europa auf diese Artengruppe gelenkt und sehr viel Forschung über die Tiere betrieben, sowie initiiert und stimuliert, sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarländern. Bis heute sind die Hügel bauenden Waldameisen nach dem Bundesnaturschutzgesetz „besonders geschützt“, eine Einstufung, die bisher keiner anderen unter den rund 110 in Deutschland vorkommenden Arten zugute kommt.

Gewiss würde GÖßWALD heute auch für den Schutz weiterer bei uns heimischer Ameisen eintreten, unter denen es mehrere vom Aussterben bedrohte, im Schwinden begriffene Spezies gibt. Allzu viele gefährdete Ameisen-Arten finden sich bereits in den „Roten Listen“ für Deutschland und für die einzelnen Bundesländer.

Zu den heute als gefährdet erachteten Arten gehört auch eine von GÖßWALD selbst in der Umgebung von Würzburg entdeckte, eine sozialparasitische Ameisenart, die auf Kosten einiger anderer Arten lebt. Die Geschichte dieser – ehemals als „Epimyrma gösswaldi“ bekannten - Art ist ziemlich unübersichtlich. Auf Anregung von Prof. Kloft möchte ich trotzdem versuchen, sie kurz zu erläutern.

Biologen, die eine bisher unbekannte Art zu beschreiben haben, benennen diese nicht selten zu Ehren der Person, die sie erstmals gefunden hat, oder auch zu Ehren von Freunden und Kollegen. Besonders beliebt ist das im Falle der sozialparasitischen Ameisen, und so hat auch Gößwald seine „neue Art“ zur Beschreibung an den italienischen Myrmekologen CARLO MENOZZI geschickt, der sie 1931 dem Entdecker gewidmet und als „Epimyrma gösswaldi“ beschrieben hat.

Im Jahre 1982 dann hat sich aber gezeigt, dass diese Art identisch ist mit einer bereits früher, 1896, aus Frankreich unter dem Artnamen ravouxi beschriebenen. Der Artname „gösswaldi“ musste somit als jüngeres Synonym von ravouxi verschwinden. 2003 wurde auch noch der Gattungsname als Synonym des älteren Namens Myrmoxenus erkannt, so dass die ehemalige „Epimyrma gösswaldi“ heute Myrmoxenus ravouxi heißt.

Auch zur Lebensweise waren Korrekturen anzubringen: GÖßWALD hatte noch angenommen, dass die Arbeiterinnenkaste „seiner“ Parasitenameise nutzlos und im Verschwinden begriffen sei. Viel später konnten wir in meiner Arbeitsgruppe nachweisen, dass es sich tatsächlich um eine Sklaven haltende Art handelt. Ihre Arbeiterinnen machen wohlgeordnete Raubzüge auf benachbarte Nester ihrer Wirtsarten, klauen deren Arbeiterinnenpuppen und lassen sie im eigenen Nest als Sklaven schlüpfen und für sich schuften.

Verteidiger der überfallenen Nester werden in den Mund und Hinterleib gestochen und damit außer Gefecht gesetzt. Sowohl dieser Sklavenhalter als auch seine Wirtsarten haben kleine Nester, kaum handtellergroß, die auch im Freien eng benachbart siedeln, in oft weniger als einem Meter Abstand. So etwas lässt sich bequem im Labor studieren, anders als die damals bekannten einheimischen Sklavenhalter, die Raubameisen und Amazonenameisen, deren Raubzüge über 100 und mehr Meter gehen.

Es schloss sich eine Folge von Untersuchungen über die weiteren rund 10 Arten der Gattung im gesamten Mittelmeer-Raum an, bis Algerien, Marokko und in die Ukraine, in deren Verlauf wir eine wunderbare Evolutionsreihe entdecken durften, von aktiver Sklaverei bei Myrmoxenus ravouxi und M. stumperi sowie Myrmoxenus gordiagini über eine tatsächliche Degeneration der Arbeiterinkaste (bei Myrmoxenus kraussei), zu schließlich völlig arbeiterinnenlosen Arten wie Myrmoxenus corsicus und M. adlerzi.
Aber etwas, das GÖßWALD erstmals bei seiner E. goesswaldi beobachtet hatte, trifft für alle anderen Arten ebenfalls zu: Der merkwürdige Modus der Koloniegründung! Die junge Parasitenkönigin „erwürgt“ mit ihren Mandibeln in wochenlanger Kleinarbeit die Königin im Nest der Wirtsart, setzt sich an deren Stelle und lässt sich und ihre Brut von den dort vorhandenen Wirtsarbeiterinnen versorgen.

Immerhin, auch wenn es den Artnamen „Epimyrma gösswaldi“ nicht mehr gibt, es bleibt GÖßWALDs Verdienst, dass er die Art in Deutschland nachgewiesen hat. Das war schließlich die Grundlage für unsere weiteren Forschungen.

Es gab eine weitere zu Ehren von Karl GÖßWALD benannte Art, eine Kerbameise Formica (Coptoformica) goesswaldi KUTTER, 1967. Auch sie wurde inzwischen als Synonym erkannt und von SEIFERT (2000) einer anderen Art, F. foreli, zugeordnet.

Glücklicherweise hat nun GÖßWALDs Freund Dr. Heinrich KUTTER aus Zürich im Jahre 1967 ihm nochmals eine weitere Art gewidmet, eine im Schweizer Wallis entdeckte, ebenfalls sozialparasitische Art, die aber anders als die ehemalige „Epimyrma goesswaldi“, nun überhaupt keine eigene Arbeiterkaste besitzt.

Als „Inquiline“ lebt Leptothorax goesswaldi im Nest der Wirtsart Leptothorax acervorum. Auch sie hat einen Namenswechsel erfahren, war zwischenzeitlich in der Gattung Doronomyrmex untergebracht, die aber mittlerweile wieder zu Leptothorax eingezogen wurde.
Leptothorax goesswaldi war zunächst nur in der Schweiz und in den französischen Alpen nachgewiesen. Kürzlich aber konnte ein von ROLAND SCHULTZ in 2001 erbeutetes Tier unzweifelhaft der L. goesswaldi zugeordnet werden, und das stammte aus Kasachstan! Die Art muss also viel weiter verbreitet sein, als bisher bekannt war, und das zeigt, dass wir über diese seltenen Sozialparasiten überhaupt noch recht wenig wissen.

Wir konnten die Lebensweise auch dieser Art aufklären, und was wir fanden, war schon fast unglaublich: Die junge goesswaldi-Königin schleicht sich nach ihrer Begattung im Sommer in ein Nest von Leptothorax acervorum ein, verhält sich dort sehr zurückhaltend und ist anscheinend chemisch so getarnt, dass keines der Wirtstiere sich an ihrer Anwesenheit stört.

Erst nach einer Überwinterung, im Frühjahr wird sie aktiv: Nach und nach und ganz langsam beißt sie allen 2, 3 oder auch mehr Wirtsköniginnen die Fühler ab! Diese Königinnen sind dann nicht mehr in der Lage, von ihren Arbeiterinnen Futter zu erbetteln. Innerhalb einiger Wochen verhungern sie, während die Parasitenkönigin beginnt Eier zu legen. Natürlich lebt sie nur so lange, bis die letzte Wirtsarbeiterin weggestorben ist, aber diese 2-3 Jahre genügen dem Parasiten um eine große Anzahl von eigenen Nachkommen, wiederum nur Jungköniginnen und Männchen, aufziehen zu lassen.

Was aus dem ganzen Nomenklatur-Ringelreihen hervorgegangen ist, ist jedenfalls eine Art, Leptothorax goesswaldi, die seinen Namen tragen wird bis ans Ende jeder Bio-Wissenschaft. Und schöner noch: Weil ein kompletter wissenschaftlicher Name auch den Namen des Beschreibers enthält, verbindet sich hier der Name GÖßWALD mit dem eines seiner besten Freunde, Heinrich KUTTER, zu Leptothorax goesswaldi Kutter, 1967.

Sozialparasitische Ameisen sind eine Wunderwelt für sich, und GÖßWALD hat ja vor allem in jüngeren Jahren außer über „Epimyrma gösswaldi“ auch über einige weitere Arten, so die temporär parasitische Lasius umbratus, geforscht. Zudem gibt es bei vielen Waldameisen die Möglichkeit der sozialparasitischen Koloniegründung mit Hilfe einer fremden Art.
Zusammen mit Heinrich KUTTER und Robert STUMPER hat GÖßWALD im Wallis die sagenumwobene „Endameise“, Teleutomyrmex schneideri, ausgebuddelt, hat sie histologisch untersuchen lassen. Es hat dann 50 Jahre nach deren Entdeckung gedauert, bis wir diese Art in der Schweiz wieder fanden; zuvor hatten COLLINGWOOD und wir sie in den französischen Alpen und schließlich in den Pyrenäen aufgestöbert, aber bis heute sind nicht mehr als insgesamt 15 Nester mit diesem Parasiten aufgefunden worden!

Es ist schwer, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann, für ein so „exotisches“ Forschungsgebiet wie den Sozialparasitismus der Ameisen Forschungsmittel locker zu machen. Um ein großes Institut zu finanzieren, muss man etwas „Nützliches“, möglichst wirtschaftlich Interessantes erforschen. Das war damals so, und ist heute noch viel mehr der Fall. Ich denke, dass GÖßWALD eher schweren Herzens die Forschung über Sozialparasiten und andere Extremformen unter den Ameisen zurück gestellt hat. Dennoch hat er sich den Waldameisen ganz sicher ebenfalls aus Überzeugung und mit vollem Einsatz gewidmet, bestimmt nicht nur um an Fördermittel zu kommen.

Aber es war eben ein Gebiet, wo man zum Glück mit „Nützlichkeit“ argumentieren konnte, mit dem Nutzen der Ameisen für den Forstschutz, bei der Bekämpfung von Forstschädlingen, und mit Nutzen für die Imkerei. So ist es ihm gelungen, ein lebendiges Institut aufzubauen und über viele Jahre zu führen, ein Institut, in dem sich auch ein Plätzchen für den einen oder anderen „Außenseiter“ wie mich gefunden hat. Ganz besonders ist hier aber Bert HÖLLDOBLER zu nennen, der seine Doktorarbeit eben auch nicht über Waldameisen, sondern über Rossameisen der Gattung Camponotus angefertigt hat, und der ja eine unwahrscheinlich steile Karriere gemacht hat. Er wurde GÖßWALDs erfolgreichster und bekanntester Schüler. Hier in Würzburg hat er von 1989 bis 2004 gelehrt, und sicher ist er vielen Anwesenden noch gut in Erinnerung.

Es ist die normale, ja notwendige Entwicklung in der Wissenschaft, dass der Fortschritt der Erkenntnis so manche einst als unumstößlich erscheinende „Wahrheit“ ins Wanken bringt. Wie Prof. HORSTMANN 1990 in einem aufschlussreichen Vortrag vor der DASW deutlich machte, war es nicht der richtige Weg, Waldameisen künstlich zu vermehren, sie an allen möglichen Orten ansiedeln zu wollen, und möglichst viele Nester mit Drahtschutzhauben zu versehen: Noch heute wissen wir zu wenig darüber, weshalb Waldameisen mancherorts in Massen vorkommen, und über weite Flächen scheinbar geeigneter Waldgebiete fehlen.
Ansiedlungen und Umsiedlungen waren und sind daher problematisch: Mal geht es, mal kommt es zu Fehlschlägen. Auch der Nutzen der Ameisen für die Imkerei durch ihre Betreuung von Honigtau liefernden Pflanzenläusen wurde etwas fraglich: Durch künstliche Ansiedlung von Waldameisen in einem Waldgebiet ist noch lange nicht garantiert, dass man dort dann reiche Waldhonigtrachten ernten kann. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Waldameisen leben in einem „gesunden“ Wald, wie auch immer ein solcher zu definieren sein mag, und Waldhonig erntet man da, wo die Waldameisen von Natur aus leben.

Die logische Konsequenz muss sein: Waldameisen schützen heißt vor allem ihre noch vorhandenen Bestände vor Eingriffen bewahren. Aktiv kann man wenig für ihre weitere Ausbreitung tun. Entsprechend hat sich die Zielsetzung der Deutschen Ameisenschutzwarte gewandelt. Man kartiert die Vorkommen, so dass man bei drohenden Eingriffen wie Straßenbau usw. rechtzeitig versuchen kann, die gefährdeten Nester in möglichst geeignete Ersatzlebensräume umzusiedeln, oder man versucht zu erreichen, dass die Vorkommen auf die eine oder andere Weise von dem Eingriff verschont bleiben.
Hinzu kommen in jüngerer Zeit Bestrebungen der DASW, sich auch dem Schutz der anderen in Deutschland lebenden und gefährdeten Ameisenarten zu widmen.
So jedenfalls behält diese von GÖßWALD begründete Organisation auch weiterhin ihre Bedeutung, wenngleich mit einem Aufgabenkreis, der sich etwas gewandelt hat; im Kern aber steht nach wie vor der Schutz von Ameisen.

Wie war GÖßWALD? Die meisten, die ihn persönlich kannten, werden ihn noch in Erinnerung haben, als eine aufrechte Gestalt, einen Menschen, der fast stets den dornigen, offiziellen Weg ging, Ameisenvermehrungen und Umsiedlungen in Übereinstimmung mit den Behörden vornahm und oft persönlich die Arbeiten angeleitet hat. Zumindest schien es mir als jungem Studenten in den 60er Jahren so.

Aber es gab auch eine andere Seite, und diese Anekdote will ich Ihnen nicht vorenthalten.
In einer Arbeit von 1951 „Zur Ameisenfauna des Mittleren Maingebietes, mit Bemerkungen über Veränderungen seit 25 Jahren“ schreibt GÖßWALD über ein ehemals reiches Trockenrasengebiet hier auf dem Nikolausberg, wo er im Rahmen seiner Doktorarbeit um 1930 fast alle seltenen Ameisenarten gefunden hatte einschließlich der „Epimyrma gösswaldi“.
Er schreibt Folgendes: „als ich … 1933 wieder nachsah, waren die meisten Neststeine auf Haufen zusammengetragen, die früher ausgedehnten freien Flächen mit Edelfichten, Lärchen usw. bepflanzt. Die in einem kurzen Urlaubsbesuch zur Verfügung stehende Zeit reichte nicht aus, um genügend der angepflanzten Bäume zur Rettung des Ameisenbestandes auszureißen…“

GÖßWALD als Artenschutz-Aktivist, der hier gar einen Forstfrevel begeht, so kennen ihn wohl wenige!
Mir hat der Bericht viel Spaß gemacht, damals als ich zum ersten Male darauf stieß!
Und so hoffe ich, dass ich auch Ihnen ein paar Einblicke in das Leben von Prof. GÖßWALD, in sein Wirken und Nachwirken, vermitteln konnte.

(Prof. Dr. Alfred Buschinger)
Gregor
Beiträge: 9
Registriert: 06. Dez. 2012, 13:58

Re: Vortrag zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Karl Gößwald

Beitrag von Gregor »

Die Tatsache, dass man Eingriffe in die Umgebung der Ameisen verhindern muss, kommt mir immer wieder klar vor Augen, wenn ich durch unseren Nadelwald fahre. Es wird doch auch viel zerstört durch Menschen, die das Ökosystem nicht verstanden haben. Hier werden Lebensräume einfach der Willkür ausgesetzt.
Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.
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